ca. 10 Jahre Unser Huhn
Textprobe

 
Alois Roßnagel

Aus dem Leben des Wirklichkeitsvereins

Von den Nasen

Die Schöpfungsgeschichte

In einer Schriftrolle aus Qumran, die vom Vatikan streng geheim gehalten wird, heißt es: Als der HErr Zebaoth gerade den Menschen machte, da kam wie zufällig die Salatschnecke vorbei und liess sich nieder auf dem Kopf. Der HErr Zebaoth wollte im Moment den Odem eingeben, aber der Mensch machte das Maul nicht auf. Und die Salatschnecke rümpfte sich, weil der Bart des HErrn Zebaoth nach dem Appenzellerkäse roch, den der immer hungrige HErr Zebaoth in einer Schöpfungspause verzehrt hatte. Darüber geriet der HErr Zebaoth in einen nachgerade heiligen Zorn. Rümpfen, das hatte gerade noch gefehlt! Das fing ja gut an! Und er kriegte die Salatschnecke zu fassen, schnitt ihr mit seinem kleinen Schweizermesser die Fühlhörner ab und blies ihr in die Löchlein seinen Odem. Darauf verfluchte er die Schnecke noch gehörig bis ins siebente Glied und schrie: "Bleibe hier auf diesem Tropf sitzen, bis ich persönlich wieder vorbeischaue am Ende der Tage. Mitesser sollen sich an deinen Flügeln tummeln, Eiterpickel auf dir wohnen, gelbe Popelbärchen in dir hausen. Sei auch auf ewig verdammt, Brillen zu tragen. In dir soll jeder böse Finger bohren können, wann er will!" So kam der Mensch zur Nase.

Die Philosophie und die Nase

Bis weit in die Neuzeit hinein gab es zwei Schulen des Denkens über die Nase. Die Angehörigen der einen Denkschule stellten sich einander gegenüber und verrieben sich gegenseitig Mastixkügelchen unter den Nasen, deren Geruch sie zu höchsten Erkenntnissen über die Nase bringen sollte. Die andere Denkschule leugnete die Existenz des Nasenproblems. Sie sagte öffentlich: "The nose? There is no nose!", trank dazu aber heimlich und in Unmengen das vorzüglichste Nasenwasser. Da kam einer aus einer ganz anderen Denkrichtung, nämlich vom Fersenbein her, über sie beide und erschlug zuerst die eine Denkschule mit dem Hinkelbein, das er aus der versteinerten Nase des urbösen Haman gefertigt hatte. Dann schlitzte er der anderen Denkschule mit dem Nasendolch die Nasenflügel auf, von obenan bis untenaus, daß sie jämmerlich verbluten mußte.

Die Nase in der Geschichte
(Kleopatra und Descartes gewidmet)

Kaiser Otto der Dritte beobachtete einst Kaiser Karl im Sarg und siehe, ein Stück seiner Nasenspitze fehlte nachher. Oder war es eins von Kaiser Karls Nasenspitze? Der Hunnenkönig Attila starb nach einem großen Gelage anläßlich seiner Hochzeit während der Nacht an einem Tuten aus der Nase, das sonst niemand hören konnte. Im Mittelalter tauchte urplötzlich ein geheimnisvoller "Großmächtiger/dickprächtiger/ langstreckender/weitschmeckender Nasen=Monarch" auf mit einer "hochansehenlichen/ breitberühmten/ naseweisen/ vielnutzbaren Grossen Nasen". Außer der Tatsache, daß er eine solche Nase hatte, haben wir jedoch gar keinen Unterricht über ihn. In Konstantinopel will man im Jahr 1610 einen echten Türken mit durch die Nase gestoßener Pfeife durch die Straßen geführt haben. Zur Warnung für die nachfolgenden Geschlechter, die sich aber nicht groß darum scherten. Bzw. die ganze Sache schließlich reinweg vergaßen. 21 Jahre später wurde in Rußland das Tabakrauchen bei Verlust der Nase ein für alle mal verboten. Wohin es danach mit der russischen Seele kam, sieht man heute zur Genüge. Michelangelo lief vierundsiebzig Jahre mit gebrochenem Nasenbein herum, aber das ist Privatsache und geht niemand was an. Kaiser Napoleon soll ein mikrokopisch kleines Geschlechtsteil gehabt haben und gilt trotzdem bis heute als großer Liebhaber. Seine Nase, dementsprechend auch klein, könnte, so vermuten zwei bis drei Historiker, extrem empfindlich für scharfe Gerüche gewesen sein. Das ist jedoch keineswegs gesichert, zumal die Geruchsquellen versiegt sind oder ausgetrocknet. De Gaulle und Adenauer begrüßten sich auf den Flughäfen ihrer Länder stets mit einem Nasenkuß. Dies vertiefte die Freundschaft erheblich, obwohl Adenauer immer die kürzere zog. Beide Männer sind heutzutage schon tot. Die Nase der Freiheitsstatue erreicht übrigens spielend ein Ausmaß von haargenau einem Meter und siebenunddreißig Zentimeter. Das steht zwar unumstößlich fest, dennoch scheint die Geschichte der Nase an ein Ende gekommen zu sein.

Die Nase der Heiligen I

Dem heiligen Norbert fiel einst bei der Messe eine giftigfette Spinne in den Kelch. Die ganze Gemeinde hielt bang den Atem an, was nun auch geschehen würde. Der heilige Norbert wollte sich nicht lumpen lassen, vertraute der Wunderkraft des Alkohols und trank flugs den Kelch mitsamt der Spinne aus. Der versammelte Alkohol tat gottgefälligst seine Wirkung, da mußte die Spinne ausfahren aus der Nase und suchte erst vergeblich das große Ganze, danach das kurze Kleine, ebenfalls umsonst, dann aber eilig das unendlich Weite, welches sie schließlich gerade eben noch so fand. Sie kratzte die Kurve, nicht ohne jedoch einen Stank zurückzulassen, der aber bald ohne Sang und Klang verging. Ein dankbares Halleluja aus allen anwesenden Kehlen schwoll hernach so mächtig an, daß das Kirchenschiff ins Schwanken geriet.

Die Nase der Heiligen II

Der Abt Antonius von Winterbach, den man auch den Onkel Thää nannte, fand auf einem Spaziergang im Gemeindewald einen gewaltigen, schon getrockneten Nasenschmutzkawenzmann, der wohl anstelle einer Zunge vom Himmel gefallen war. Er sperrte das Trumm in sein Fuhrmannstaschentuch und nahm ihn mit. Heute wird der Kabänes religiös veranlagten Gläubigen in der Kirche Unserer Lieben Frau in Trier gezeigt, aber zum Glück nur alle dreiunddreißig Jahre. Abt Antonius von Winterbach wurde später einer der bekanntesten Opferstockmarder der gesamten Eifelgegend. Sein Wirken reichte bis hinüber in den Hunsrück. In Hermeskeil betrat er einmal mit einer umgeschnallten Peniskalebasse den Frauenbuchladen, was ihm aber streng verwiesen wurde.

Aus der Hausapotheke des Wirklichkeitsvereins

Im Alter wird nicht nur die Nase selbst bis zu sieben Mal länger, auch die Haare wachsen gleich büschelweise daraus hervor. Nasenhaare sind die wohl unangenehmste Begleiterscheinung der menschlichen Existenz. Und nun erst, wenn Oponophlia, die Leichenmade, daran herumturnt oder Schnudelfäden aus der vergrößerten Nase sich hemmungslos bis ins Bierglas ziehen. Gerade unsere Senioren kommen dann oft nicht mehr mit dem Rasierapparat in die Nasenlöcher. Man lauere den struppigen Störenfrieden mit Schere, Nilpferdpeitsche (Kurbatsch) oder Pinzette auf, bis sie herauslinsen, schnappe oder schlage dann zu und schneide sie ab. Alle Gegenübersitzenden werden sich schön bedanken.

Man schlage auch nie einer Schwangeren die Bitte um etwas Essig ab, das Kind wird sonst keine Nase bekommen.

Nasenbluten ist gesund. Nimmt es überhand, rauft man am Fronleichnamstage eine blaue Kornblume mit der Wurzel aus. Das Blut der Nase wird gestillt, wenn man sie in der Hand hält, bis sie erwarmet. Oder man steckt in die betreffende Nasenöffnung einen Kartoffelbovist, schnupft Moos von einem Holzapfelbaum, kaut den Samen des gemeinen Wegerichs und legt eine tüchtige Portion Schamhaare aus öffentlichen Pissoiren auf.

Die Universalpharmakopöe des Wirklichkeitsvereins empfiehlt gegen das Schmerzen der Nase unter dem Namen: Sacculus pro amuleto in haemorrhagia nasium Senneri ein Beutelchen von roter Seide, welches mit Krötenasche, Blutstein, menschlichem Hirnschädelmoos, Meernabeln und Krötenwurzeln gefüllt ist, an einem seidenen Band um den Hals zu tragen.

Krankheitsdämonen dringen durch die Nase in den Menschen ein, deshalb sollte man das Haus nicht verlassen, ohne sich beim Nasenzipfel zu fassen. Oder sonstwo.

Obacht beim Betreten von Buchhandlungen: Hält der Buchhändler dem Kunden ein sehr dickes Buch im Folio-Format zur Ansicht vor, weiche dieser sofort zurück. Sonst klappt er es zu und zwickt die Nasenspitze ein. Gelingt dem Buchhändler die Attacke, büßt man es mit einem großen Schein. Gelingt sie ihm nicht, muß man ihm das Buch abkaufen. Davon leben die Buchhändler.

Das Geheimnis des Wirklichkeitsvereins

Eigentlich war der Wirklichkeitsverein gewarnt, denn sein leiblicher Vater hatte ihm auf dem Totenbett noch zugerufen: "Der freie Umgang mit Weibern hat keine weiteren Folgen, als daß einem Nase und Sack abfallen!" Doch der Wirklichkeitsverein wollte das, jung und stark wie er war, nicht glauben. Er durchwanderte die Eifel als schädigender Dritter, immer auf der Suche nach enttäuschten Eheweibern, die er zuhauf fand und fleißig beglückte. Aber die Eifeler Männer kamen ihm dahinter, faßten ihn, verbrannten ihm erst die Haare im Hintern und banden ihm dann ein ausgehungertes Frettchen davor, welches sein Naschwerk auch fleißig verrichtete. Zum Schluss der Prozedur schnitten sie ihm in einem Akt symbolischer Kastration die Nase ab. Doch der Wirklichkeitsverein kam glimpflich davon, denn er ist bekanntlich unsterblich, weil er in Unmengen Wacholderschnaps aus der großen, weißen Steinguttasse des Reichsarbeitsdienstes trinkt, die ihm sein Großvater Hermes geschenkt hat. Der Wirklichkeitsverein ignorierte somit die Schädigungen im Magen-Darm-Trakt, suchte jedoch wegen der verlorengegangenen Nase den weitberühmten Doktor Tittel auf, der ihm eine Kunstnase schnitt aus den Resten jenes Fleisches, das nur selten die Sonne sieht.

Nasen, die fehlen

(werden aufgeführt, damit nicht jemand denkt, der Wirklichkeitsverein kennte sie etwa nicht)

Die Nase des Johannes.
Die Nase von Cyrano de Bergerac.
Die Nase von Pinocchio.
Die Nichtnase des Phantoms der Oper.
"Die Nase" von Gogol.
"Die Nase des Michelangelo". Drama von Hugo Ball.
Die Rotweinnase von Martin Walser.
Die künstliche Nase von Tycho Brahe.
Der Wolfacher Nasenumzug.
Die Nase des Behemoth, wie er sie aus den gesalzenen Fluten hebt.
Die sündige Sacknas.
Die Ming-Nase.
Die Mondnasen, die Ebbe und Flut regulieren.
Die Nase Hiob, aus der Rauch entweicht wie bei einem Sicomatic.
Publius Ovidius Naso.
Der Nasenbär.
Der Nasenaffe.
Die eisernen Nasen von Holda, Perchta und anderen Dämonen.
Die Warzenmelonennase von Dabbeljuh C. Fields.
Die riesige Nase von Hans Christian Andersen.
Undsoweiter. Undsoweiter.
Wir grüßen alle Nasen auf der weiten Welt.

Nase und Literatur

Samuel Beckett war Zeit seines Lebens leidenschaftlicher Nasenbohrer, vermutete aber gegen später die dafür erforderlichen Löcher irgendwo in der Nähe des linken Knies, was natürlich zu nichts führte.

Nase und Kindheit

Als Kind kannte der Wirklichkeitsverein einen Mann namens Johann Geimer, der bei jeder Bewegung summte und brummte wie ein Bienenkorb. Der Grund: Er hatte einen Chip von "Sonniers Knuppautos" im Nasen-Rachenraum stecken, was allerdings erst bei einer Exhumierung entdeckt wurde. Das Summen und Brummen hatte da schon aufgehört. Ebenfalls noch als Kind kannte der Wirklichkeitsverein einen weiteren Mann, der allerdings hinwiederum nicht Johann Geimer, sondern anders hieß. Hans Elsen nämlich. Dieser trank täglich ein verwunderlich großes Quantum Schnaps, allerdings versteckte er die Flasche aus Furcht vor seiner Frau immer hinter seinem speckigen Hut. Der Krebs fraß ihm für diese Feigheit vor dem Frauenfeind die Nase weg, allerdings überlebte Herr Elsen alle an der Sache Beteiligten, bis auf den Wirklichkeitsverein, dem er seinen Hut vermachte. Wer heute einen Hut sieht, hinter dem vermutlich Schnaps getrunken wird, kann davon ausgehen, daß dort der Wirklichkeitsverein zugange ist.

Ein Geständnis

Wenn der Wirklichkeitsverein die Nase hochträgt, zupft er sich die Würmer lieber selber von ihr ab statt sie in jede beliebige Spalte zu stecken. Anders liegt der Fall, wenn der Wirklichkeitsverein seiner Angebeteten verliebte Nasenlöcher macht.

In Reutlingen

Dort konnte auf einer Zusammenkunft der Wirklichkeitsvereine der durch Einnahme etlicher Weißweinpokale schon fast zugehämmerte Herr Ehrenpräsident Ror Wolf immerhin ebenso plötzlich wie persönlich noch sagen: "Die lange Nase ist ein Zeichen für Lebenserwartung und Vitalität und wenn es nicht wahr ist, so schneuze mich der Teufel!" Ausgerechnet dieser aber war zu der Versammlung nicht erschienen, vielleicht weil er die Einladung nicht rechtzeitig erhalten hatte.

Der Ausklang der Nase

Manchmal scheint dem Wirklichkeitsverein jetzt, wenn alle anderen schon schlafen, ein zartes Licht aus seiner Nase, eine Art Sankt-Elmshorn-Leselampe.