Kai Schreiber

Autor | Neurowissenschaftler | Sänger

Lost Schmiet

Au recherche du nom perdu

von Michael Ebmeyer und Kai Schreiber



Da wollten wir neulich einen Blue-Tarantino trinken gehen, mit den Schmiets von nebenan und warteten den ganzen lieben langen Abend vergeblich auf sie. Ehrlich gesagt sind sie noch nie gekommen. Waren auch nie zuhause, wenn wir sie mit einem Kanister Jarmusch Royal unter dem Arm überraschen wollten. Wir wußten, wenn wir die Wahrheit sagen sollen, auch gar nicht, wo sie wohnten. Ratlosigkeit überzog unsere Visagen wie eine zart opaleszierende Schicht Magic Mauriskäki. "Jetzt gilt’s aber, Donnerwetter!" brüllten wir, zum Äußersten entschlossen. Doch auch am Folgetag ließen die Schmiets sich in Ethan & Winona’s nicht blicken. Wir, Nase voll, lasen das Örtliche und dann die Gelben Seiten. Bei Wannenmacher angekommen, schraken wir auf: Die alte transusige Tante Telekom schien die Schmiets kaltschnäuzig zu ignorieren! Auf den Schock genehmigten wir uns erstmal einen kaltgepreßten Kieslowski hinter die Binde und dachten angespitzt nach.

"Eigentlich ist die Sache klar", sagte Pierre zwischen zwei Zwetschgenzweigen. "Hier in Brackwede gibt es die Schmiets eben nicht. Laß uns in die großen Städte gehen, sicher suchen sie dort ihr Glück." Wir fackelten nur wenige Minuten. "Auf nach Berlin!"

Im Screaming Greenaway warteten wir drei geschlagene Wochen erfolglos auf die Schmiets. Dann hatten wir das Telefonbuch durch, ließen ein Gestänge Wasser stehen und wankten nach Hamburg. Im Pasolini Pier die gleiche Geschichte: Keine Spur von den Schmiets.

Also Köln, mit dem Schönen Wochenende an der Bananenreiferei hinter Duisburg vorbei. Am vereinbarten Treffpunkt vor dem Domplatz schlugen wir uns zweieinhalb Wochen lang literweise Godard Grapefruit Flip um die Ohren, bevor ein günstiger Westwind uns nach Frankfurt weitertrieb. Aber leider fanden die Schmiets sich auch in Truffauts Taverne alles andere als ein. Letzte Etappe, letzte Hoffnung, ist München, die Stadt an der Isar.

Bei einem Famosen Buñuel in der Cafeteria des Deutschen Museums wurde uns klar: "Wir sind mit unserem Latein am Ende, brauchen professionelle Hilfe." Flugs gründeten wir ein Detektivbüro und erteilten uns unseren ersten Auftrag: "Finden Sie raus, wo die Schmiets abgeblieben sind. Die können ja wohl nicht vom Erdboden verschluckt sein. Sie haben Zeit bis übermorgen."

Billig waren wir nicht, aber dafür versprachen wir einander Wertarbeit in die Hand. Wir warteten fieberhaft auf Ergebnisse.

Früher Sonntagmorgen. Guts Of Gründgens dampft in der Maschine, Rüedi hirnt an der Kürbiskernpresse: "Du, Pierre, wähl doch mal das Einwohnermeldeamt an." Pierre reagiert sofort, routiniert: "Wieso?"

"Wegen der Schmiet-Sache", kratzt sich Rüedi am Kopf und schnipst die Schuppen ins Kürbiskernglas. Pierre läßt den Homogenisator am Boden zerschellen und eilt an die Wählscheibe. Das Kreuz an die richtige Stelle, und das Amt ist am Apparat: "Hier Einwohnermeldeamt am Apparat. Wen darf ich melden?"

"Schmiet", entfährt es Pierre aus allen Wolken. "a) Prima", strahlt das Amt, "da haben wir noch gar keinen." Pierre hängt langsam ein, "Fehlanzeige."

Unterdessen hat Rüedi den Kürbiskernsaft im Erlenmeyer-Kolben am Sieden und gibt Cocamidopropybetain und PEG-7 Glycerylcocoat und Polyquaternium-7 dazu, murmelt leise: "Jetzt das Grundbuchamt" und rasselt vergnügt mit der Mischung.

"Hier Grundbuchamt", grantelt das Grundbuchamt, noch ehe Pierre den Hörer wieder aufgenommen hat. Pierre schnauzt mit seiner Geschäftsstimme: "Nennen Sie mir einen Grund, warum im ganzen Land keine Schmiets aufzufinden sind!" Schweigen durchflutet den Hörer. Dann, Sekunden später, plätschert emsiges Blättern. "Da haben WIR keinen GRUND verzeichnet", gibt das Grundbuchamt sachgemäß zu Protokoll, doch dann, pianissimo: "Wissen sie was? Die Seite ist rausgerissen worden!"

Pierre bewahrt die Ruhe selbst: "Welcher GRUND stand auf der Rückseite?"

"Der GRUND dafür, daß nach Leni Riefenstahl noch kein Cocktail benannt wurde." belfert das Grundbuchamt unerschrocken zurück. Beeindruckt läßt Pierre den Hörer fallen. Rüedi schält Mangroven: "Der Fall ist schwerer, als er aussieht." Und in der Tat: Das Telefon zerschmeißts am Boden in tausend Scherben. "Das bringt Glück", kolportiert Rüedi trocken und schüttet Schalen und Scherben in den Erlenmeyer bis es grunzt. "Der wird gut, glaub ich", gibt er zu bedenken, wird aber gleich wieder ernst: "Ruf den BND in Pullach an. Es eilt."

Pierre rennt raus, zur Telefonzelle, zieht den Rentner hervor, der dort gerade spricht, streckt ihn, mit einem unbeherrschten "Bube!" auf den Lippen, auf das Straßenpflaster nieder und zählt ihn aus. "Wer ist denn da!" brüllt der BND aus dem jetzt herrenlosen Hörer. Pierre greift zu: "Ist auf ihrer Behörde ein Herr oder eine Frau Schmiet beschäftigt?" raunzt er ungehalten. Der BND stellt auf Durchzug: "Das bestreite ich. Davon ist mir nichts bekannt." Pierre schlägt das Telefonhäuschen kurz und klein und trottet zurück ins Bureau.

Dort hat Rüedi die Büffelleber längst gewendet und verteilt die Schnipsel gerade auf dem Rand seines Glases. "So", sagt er, "jetzt fehlt nur noch die essigsaure Tonerde." Und nach einer kurzen Pause: "Ruf doch jetzt beim Bundesgerichtshof an. Das ist unsere letzte Chance!"

Pierre dreht sich auf dem Umsatz ab, Verzeihung: auf dem Absatz um, schlendert zu den Nachbarn rüber. Die Tür ist offen. "Schönes Wetter?" begrüßen sie ihn. Er brummt nur und greift sofort nach der Muschel. Der Bundesgerichtshof ist unwirsch: "Sie haben mich aus dem Schlaf gerissen", schnarrt er wie frisch aufgezogen, "aufgemerkt nun also! - der Bundesgerichtshof tagt Sonntags nicht." Das Freizeichen übernimmt.

"Aber es ist wichtig", mosert Pierre. Da bequemt sich der Bundesgerichtshof nochmals an den Apparat. "Uebrigens sind mir Ihre Schmiets - immer mal wieder - gänzlich unbekannt." Pierre legt in namenloser Wut den Hörer gar nicht auf, sondern gleich das Haus in Schutt und Asche. Lediglich den Kühlschrank läßt er bewußt unversehrt; entnimmt ihm mit einem irren Blick des Triumphs ein Tübchen essigsaurer Tonerde und tritt den Heimweg an. "Hinter mir verbrannte Erde", mulcht er den entgeisterten Nachbarn ins Gehör. Sie brüllen ihm vorwurfsintensiv nach: "Elender Spoliant, dreckerter!"

Getrübten Sinnes erreicht Pierre die Detektei und drückt Rüedi die Tube in die Hand. "Du Ferkel", motzt Rüedi und streicht die Tonerde am Glasrand ab, "immerhin ist der Malicious Murnau jetzt fertig."

"Schwacher Trost", faucht Pierre wie ein Katze, der man in den Schwanz getreten hat und nimmt den inzwischen erkälteten Guts Of Gründgens aus der Maschine zu sich. "Das war ja wohl alles nix", bläst Rüedi Trübsal und bürstet die Überreste seines Drünks. "Laß uns noch einen Abstecher zu Finskei ins Schlöndorff machen und uns hemmungslos bezechen

Mittels etlicher Batida de Almodovar, Fassbinder-Fellinis und Eisensteinhäger wird Finskei unsere Zungen lockern. Wir werden ihm unser ganzes Leid von A wie Anfang bis Z wie Zwischenergebnis klagen, er abwinken: "Wärt ihr man gleich bei mich gekommen. Denn wo die Schmiets abgeblieben sind, das kann ich euch wohl sagen."

"Allez, Ho-Ho!, die Teufel auch!" wird es uns wie von Sinnen entfahren.

"Die Sache verhält sich nämlich so", wird Finskei erklären und weit ausholen. "Aus den Schmiets habe ich seit vielen Jahren schmackhafte Cocktails gezaubert. Leider sind sie mir inzwischen ausgegangen. Heute habe ich den letzten vor einem mutwillig zerstörten Telefonhäuschen gefunden. Erschlagen. Eigentlich", wird er mit einem verschmitzten Lächeln hinzufügen, "müßten sie jetzt eisgekühlt genug sein." Und er wird uns die ersten und letzten Lost Schmiet unseres Lebens servieren. Rüedi wird melancholisch in seinem Glas stochern und schließlich zu Pierre sagen: "Du Arsch."

Pierre und Rüedi betreiben heute eine Büffelbraterei in Brackwede. Der Mixer Finskei wurde im Orient überfahren. Die Nachbarn haben sich im Grünen ein neues Haus gebaut. Auch Einwohnermelde- und Grundbuchamt sowie der BND haben mittlerweile Sonntags geschlossen. Und die Schmiets haben sich von Pierres Schlag bis heute nicht erholen können. Man wird sie in Deutschland noch immer vergeblich suchen.

Brackwede, im Frühjahr 1995.