Kai Schreiber

Autor | Neurowissenschaftler | Sänger






Perry Rodent

Die Ratte des Universums

Folge 14 - Rodent in Gefahr

Was bisher geschah:

Die Situation im Rattenkäfig ist kritisch: allmählich gehen die Futtervorräte der Käfigverwaltung zur Neige. Zusätzlich wirkt der Schock der Unruhen, die das Verwandtenkorps des Rattenkönigs auslöste, noch nach. Große Angst vor der Zukunft beherrscht die Käfiginsassen - da hilft es auch nicht viel, daß die Einsatzgruppe "Dusty Star" ausgezogen ist, neue Futterquellen zu erschließen, denn von der Gruppe um Perry Rodent hat man schon lange nichts mehr gehört. Zusätzlich ist der Rattenkönig, den man durch das Verschließen seiner Höhle kaum aufhalten konnte, dabei, durch ein selbstgeschaffenes Loch in das Reich gefährlicher brauner Ratten vorzustoßen. Die erste Auseinandersetzung kann der König allerdings für sich entscheiden. Und während Wolpertinger sich mit dem Haufen beschäftigt, kümmert sich die Gruppe um Rodent um den Ungeheuerlichen - und dabei gerät RODENT IN GEFAHR.

"Was sollen wir jetzt machen", wisperte Bull nach einer beträchtlichen Pause, doch erhielt er keine Antwort. Noch immer im Schock blickte er sich um und sah, daß er alleine war.
"He", quiekte er, einer Panik nahe, "wo seid ihr denn?" Seine Augen traten aus den Höhlen und kullerten förmlich durch die unheimliche Ebene, doch er konnte Rodent, Squeek und Taff nirgends entdecken, und spürte wie eine eisige Pfote sein Herz umklammerte. Er fiepte noch einmal kläglich und schob seine Schnauze dann unter seine heftig bebende Brust.
Sie hätten den Käfig gar nicht erst verlassen sollen. Dusty Star! Was für ein ausgemachter Unsinn. Und was hatte der gefährliche Ausflug denn schon eingebracht? Ein pasr vergammelte Fritten, und für jede einzelne Fritte, so schien es Bull, eine Gefahr, größer als - hier stockte sein hektischer Gedankengang einen Moment - größer als... irgendetwas ziemlich Großes. Wenn auch natürlich nicht größer als der Ungeheuerliche, denn zum einen war der Ungeheuerliche eigentlich schon zu groß für Bulls armes, gemartertes Gehirn und im Grunde jenseits dessen, was er sich vorstellen konnte, und andrerseits war der Ungeheuerliche eben grade das größte Problem, auf das sie bislang gestoßen waren. Und, überlegte Bull, nunmehr ein bißchen verwirrt, wenn sich herausstellen sollte, daß er identisch mit der Frittenmacht wäre, dann wäre er ja auch noch das einzige Problem. "Das Einzige und das Größte? Mist!" dachte Bull, und außerdem wurde es ihm, eingerollt wie er lag, allmählich ein wenig unbequem. "Ach ja", sagte er wie nach einer Eingebung, "der Haufen. Also doch nicht das Einzige sondern nur..."
In diesem Moment ertönte direkt neben seinem Ohr eine Stimme, die "Hör auf Selbstgespräche zu führen, Dicker, und sieh Dir das an." sagte, und Bulls Herz hörte auf der Stelle auf zu schlagen. Nur Sekunden später war der tapfere Abenteurer Ratty "Nerd" Bull tot.

*

Squeek schnüffelte mißtrauisch am Boden entlang, während sie sich langsam, Stück für Stück wieder zurück zu der Stelle tastete, an der sie auseinandergerannt waren, vor Schreck über etwas, an das sie sich nur widerwillig erinnerte. Der Ungeheheuerliche hatte sich bewegt, und zwar seine gesamte gewaltige Masse auf einmal, und war dann plötzlich weg gewesen, und alle anderen mit ihm, und auch Squeek hatte sich, als die Panik abflaute, irgendwo anders wiedergefunden. Ein rascher Rundblick hatte gezeigt, daß tatsächlich keine Ratte in der Nähe war, und auch sonst hatte Squeek nichts entdecken können, das ihr geholfen hätte, die Situation zu verstehen. Also machte sie sich an den Rückweg zum Ungeheuerlichen, unter umfangreichen Vorsichtsmaßnahmen, wie sich verstand. So schnüffelte sie äußerst sorgfältig, ehe sie sich ein Stück vor wagte, und war stets bereit, eventuellen Angreifern die Zähne zu zeigen. Was sie allerdings tun sollte, fände sie sich dem Ungeheuerlichen selbst gegenüber, wußte sie nicht so recht. Jedenfalls bezweifelte Squeek, daß der Ungeheuerliche sich von Rattenzähnen würde sonderlich beeindrucken lassen - und irrte an dieser Stelle, freilich ohne eigenes Verschulden. Woher hätte sie es besser wissen sollen?
Stück für Stück kämpfte sie sich auf dem weichen Untergrund gegen ihre Furcht und gegen das eigenartige Licht voran, das Rodent "ersterbend" genannt hatte. Und noch ehe sie einen der anderen erreichte, geschah es erneut.

*

"Ich bin gestorben, es ist völlig schwarz", schrillte Bull panisch, "und bewegen kann ich mich auch nicht."
"Du mußt den Kopf herausziehen, Dicker", kommentierte Rodent trocken und Bull stoppte augenblicklich sein Gezeter. Mühsam zerrte er seine spitze Schnauze hervor und blickte unglücklich um sich.
"Irgendwas hat mich erschreckt", fiepte er entschuldigend, und sah aus, als wollte er den Kopf gleich wieder zurückstecken. Rodent kicherte.
"Das dürfte wohl ich gewesen sein, es sei denn, du meinst den Ungeheuerlichen, aber das ist ja schon wieder ein Weilchen her. Aber schau Dir mal das da an. Was hältst Du davon?"
Rodent wies forsch nach oben, und Bulls Blick folgte willig und ratlos der Richtung. Ein Ausdruck wie von dämlichem Unglauben stahl sich auf Bulls Gesicht.
"Was ist denn das", japste er und machte nun tatsächlich Anstalten, den Kopf wieder wegzustecken.
"Hör auf mit dem Quatsch", murrte Rodent. "Ich weiß auch nicht, was das ist, aber schlimmer als der Unegeheuerliche ist es auch nicht."
Über ihren Köpfen glühte in den furchtbarsten Farben, die Bull jemals gesehen hatte, ein enormes Ding, es flimmerte und bewegte sich, und blieb doch an derselben Stelle. Kurz, es war ein unbeschreiblich grauenvoller Anblick, und Bull saß wie versteinert.
"Ich kann mich nicht bewegen", wisperte er angstvoll, "ich kann mich nicht bewegen."
Rodent nickte gewichtig. "Das ging mir vorhin auch so. Es liegt an dem Ding da. Du mußt wegschauen, dann geht es wieder."
"Ich kann nicht", pfiff Bull in höchster Not. Rodent gab ihm einen seitlichen Stoß und drückte ihm die Pfoten in die bebende Seite. Mit einem heftigen Zischen entließ Bull die angestaute Luft und begann, ruhiger zu atmen.
"Danke. Das ist ja schlimmer als das ersterbende Licht", schnaubte er, und vermied es, erneut zu dem strahlenden Ding hinzusehen.
"Ich glaube", sagte Rodent langsam und mit dem Gespür für Effekte, das Bull so auf die Nerven ging, "das ist das ersterbende Licht."

"Noch näher trau ich mich nicht", fiepte Bull ängstlich, aber Rodent machte noch einen Sprung.
"Perry. Nicht!", pfiff Bull, doch dann hüpfte er hinterher, zugleich verärgert über seine Ängstlichkeit und Rodents Forschheit.
"Du bringst uns um Kopf und Kragen".
Rodent machte ein unetschiedenes Geräusch und blickte verstohlen zu dem strahlenden Ding hinauf. Je näher sie kamen, desto unheimlich wurde es, und auch Rodent wäre nur zu gerne umgekehrt, und zurück in den Käfig gelaufen, um sich zu verstecken, doch zwang er sich, weiterzugehen. Er hatte eine vage Idee und wollte überprüfen, ob sie zutreffen konnte. "Perry", rief Bull in diesem Moment aufgeregt, "ich glaube er ist zurückgekommen."
"Der Ungeheuerliche?"
"Ja, ich sehe die beiden Dinger, an denen wir hinaufgeklettert sind, wieder da stehen." "Um so besser", pfiff Rodent, und machte noch einen Sprung.
"Was hast Du denn vor, Perry", rief Bull, der wieder Angst bekam. "Noch weiter komm ich nicht mit."
"Ich glaube, daß das Licht nicht nur uns festhält, sondern auch den Ungeheuerlichen. Und wenn er auch die Frittenmacht ist, und unser Futter veschafft, dann ist vielleicht das Licht schuld, daß wir hungern. Ich werde versuchen, das Licht", Rodent zögerte kurz, "umzubringen."
Dann, ehe Bull etwas erwidern konnte, sprang er mit einigen raschen Sätzen davon und ließ Bull erstarrt zurück. Es dauerte Sekunden, bis Bull die Information verarbeitet hatte, und kaum war er so weit, da begannen die Ereignisse auch schon, sich zu überschlagen.

*

Squeek machte einige rasche Sprünge in eine zufällige Richtung, als sie hörte, daß der Ungeheuerliche zurückkehrte. Zwischen ihr und dem Ungeheuerlichen befand sich einhohes Ding aus einem weichen Material, hinter dem sie erst einmal in Deckung ging. Als dann nach einigen Sekunden klar zu sein schien, daß der Ungeheuerliche nichts weiter getan hatte, als seinen Platz wieder einzunehmen, wagte sich Squeek ein Stück weiter nach vorne, doch in dem Moment, in dem sie schnüffelnd ihre Nasenspitze an der Seite des Dinges, auf dem der Ungeheuerliche ruhte, hervorschob, ertönte ein unglaubliches Geräusch, ein Zischen und Knirschen, eine gewaltiges Krachen, und, in all dem Lärm schwer zu hören, aber doch unzweifelhaft, ein Schmerzensschrei von Rodent. Alarmiert hob Squeek den Kopf, doch sofort kippte die Aufmerksamkeit in Angst, als nämlich der Ungeheuerliche begann, ungeheuerliche Laute auszustoßen und erneut von seinem Platz aufstand. Mit großen Augen beobachtete Squeek, wie der Ungeheuerliche in die Richtung lief, aus der der Schrei gekommen war und begann, dort unter gewaltigem Lärm gewaltige Gegenstände zu bewegen. Immer wieder hörte sie das angstvolle Quieken Rodents, und in ihrem gelähmten Gehirn entstand das Bild Rodents, wie er in äußerster Angst vor dem Ungeheuerlichen floh, der ihm mit unsagbaren, gewaltigen Pfoten und Zähnen nachstellte. Schließlich jedoch, und ohne das Squeek von Rodent mehr als gelegentliche Angstschreie gehört hätte, ließ der Ungeheuerliche ab und verschwand erneut. Squeek sprang in Eile in die Richtung, in der sich das Drama abgespielt hatte und fand dort einen atemlose Ratty Bull, der sie aus großen Augen anstarrte.
"Wo ist Rodent", fiepte sie laut, doch Bull starrte nur weiter.
"Hier ist Rodent", sagte Rodent, etwas angeschlagen, aber doch ganz guter Laune. "Sieht aus, als ob ich recht hatte."
Nun starrte auch Squeek stumm auf Perry Rodent, der sich betont langsam und sorgfältig putzte, und dabei erklärte, was geschehen war.
"Wir haben wahrscheinlich die Stelle entdeckt, von der das ersterbende Licht kommt", erläuterte Rodent, "und ich habe vermutet, daß man, wenn man es tötet, den Ungeheuerlichen dazu bringt, sich zu bewegen."
"Und du hast es...", setzte Bull ungläubig an, doch gelang es ihm nicht, die Frage zuende zu formulieren.
Rodent kicherte. "Ich denke schon. Da war ein weiches, langes Ding, das aus der Wand kam und im Licht verschwunden ist. Das Licht war von hinten übrigens ganz dunkel. Und das lange, weiche Ding habe ich durchgenagt."
"Du hast..." Bully schluckte hart.
"Ich nehme an, das Licht kam durch das Ding aus der Wand, denn als ich es durchgebissen habe, wurde es ganz hell und schleuderte mich davon. Dann kam der Ungeheuerliche, naja, den Rest habt ihr ja gesehen."
Die drei Ratten schwiegen einen Moment lang andächtig, dann sagte Squeek ehrfürchtig: "Wenn es jetzt wieder Futter im Käfig gibt, bist Du ein Held, Perry."
Doch noch ehe Rodent antworten konnte, erhob sich in einer Entfernung ein fürchterlicher Lärm, gefolgt von einem lauten Krachen und weit entferntem Quieken, als ob viele Ratten in Schmerz aufschrieen und dann verstummten. Die drei blickten sich entsetzt an, und schwiegen. "Es ist noch nicht vorbei", murmelte Rodent bedrückt.

Rodent ist es gelungen, den Ungeheuerlichen aus seiner Stille zu reißen - doch um welchen Preis? Woher kam jener entsetzliche Aufschrei? Unterdessen spitzt sich jedoch auch die Lage im Käfig wieder zu. Mehr dazu lesen sie in Folge 15: Der Käfig und das Monster.