Perry Rodent
Die Ratte des UniversumsFolge 20 - Der Einsamer der Zeit
Die Lage im Käfig nach der Rückkehr der Einsatzgruppe "Dusty Star" aus der staubigen Ebene, wo sie sich mit dem Ungeheuerlichen auseinandersetzte, ist verwirrend. Die Ameisen, die mit Wolpertingers Hilfe als Verb�ndete gewonnen werden konnten, besiedeln l�ngst den K�fig ebenso wie den Bau der Wildratten auf der anderen Seite des Durchbruches, den der K�nig der Ratten brechen lie�. Der K�nig der Ratten ist es auch, dem der n�chste Vorsto� von Perry Rodent und Mandala gelten soll, die seit dem Unfall, bei dem Gershwin das Bewu�tsein verlor, den K�fig leiten. Doch gerade, als sie sich anschicken, dem K�nig endg�ltig zu Leibe zu r�cken, mischt sich eine unbekannte Partei ein: DER EINSAMER DER ZEIT.
Vergangenheit: Bei den Wilden
Es war selbstverständlich, daß nur die kräftigsten
jungen Ratten eines Jahrganges ausgewählt wurden, den
'Vorstoß' zu machen, wie das gefährliche Abenteuer
allgemein nur hieß. Der 'Vorstoß' diente dabei mehreren
Zielen: einmal und offensichtlich war es sein Zweck, die
Nahrungskammern des Baues mit hochwertigem Futter zu füllen,
daß es dort, wo sie hinwollten, in großen Mengen gab. Zum
anderen aber galt es nicht nur als große Ehre, vom General
für den 'Vorstoß' ausgewählt zu werden, sondern wer
davon zurückkehrte, konnte sicher sein, hinterher zu den
angesehensten und gefürchtetsten Mitglieder der
Rattengemeinschaft zu gehören.
Die gesamte Garde des
Generals rekrutierte sich aus 'Vorstoß'-Veteranen und so war
der, dessen Geschichte hier erzählt wird, trotz der großen
Gefahr überglücklich, als man ihn auswählte.
Es würden diesmal nur drei Ratten sein, die den beschwerlichen
Weg gehen sollten, denn die Vorratskammern waren voll, und es gab
nicht viele junge Ratten im Bau. Jeder Verlust zählte somit
doppelt schwer, und es war nur die vorausblickende Weitsicht des
Generals, die ihn dazu verleitete, wiederum junge Ratten
loszuschicken. Das Ausmaß seiner Fehlentscheidung wurde nur
noch übertroffen, als er sich lange Zeit danach entschloß,
vor dem König der Ratten, der für ihn ein Gespenst aus
einer fremden Welt war, bei hellem Licht nach draußen zu
fliehen. Doch so weit reichte die Weitsicht des Generals nicht,
daß er seinen eigenen Tod vorausgesehen hätte, und so
begnügte er sich eben damit, das Debakel nicht vorauszusehen,
das mit diesem Vorstoß einhergehen würde.
Als der
General im Kreise seiner Garde, der die drei jungen Abenteurer bald
anzugehören hofften, sie verabschiedete, und ihnen, wie es der
Tradition entsprach, Glück wünschte im Kampf gegen den
Großen und Wütenden, da ahnte sogar jeder außer ihm
und den drei aufgepeitschten Jungen, daß sie ins Verderben
rannten. Aber keiner hielt sie auf, denn was der General
beschloß, hatte Gewicht, und obendrein war es doch viel
wahrscheinlicher, daß sie alle irrten, und der General nicht,
als umgekehrt.
Die Ratten verstanden einfach nichts von
Stochastik, und das war sehr, sehr schade.
Die
drei wechselten kaum ein Wort miteinander. Der Weg war seit
Rattengedenken vorgezeichnet, und führte, immer gleich, und
durch hauchzarte Urinflecken unverwechselbar markiert, durch den
dichten Busch an die Wand des Dinges zu einer großen
Öffnung, die oft von kaltem und glattem Nichts versperrt war,
und schon so manchem 'Vorstoß' ein schneller uns
unrühmliches Ende bereitet hatte. Diesmal stand sie weit offen,
was, so weit die Drei sich erinnerten, noch nie vorgekommen war.
Bestenfalls war manchmal ein Spalt frei gewesen, durch den man sich
zwängen konnte, der sich vielleicht sogar erweitern ließ,
doch weit geöffnet? Das hatte es noch nie gegeben.
Erfreut, und eher weniger vorsichtig als gewarnt, machten die drei
sich auf den Weg, und sie hatten noch keine zwanzig Zentimeter
zurückgelegt, als der Duft von Käse und Speck in ihre Nasen
zog. Ein Stück abseits lagen einige der gesuchtesten
Leckerbissen verstreut und in ihrer Begeisterung über diesen
traumhaften Verlauf des 'Vorstoßes' vergaßen sie
endgültig alle Sicherheitsmaßregeln. Kaum hatte die erste
der drei das erste Stück Käse berührt, ertönte
ein scheppernder Lärm, und ein rostiger Fahrradkorb, der
über eine kunstvolle Konstruktion aus Gabeln und Schnüren
oben gehalten worden war, fiel herab.
Davon wußten die
drei tapferen Abenteurer natürlich nichts, aber daß sie
gefangen waren, begriffen sie schnell. Und daß die Laute, die
der Größe und Wütende wenig später
stoßweise ausstieß, kein Anlaß zur Freude waren,
wußten sie ohnehin.
Was mit den anderen
beiden geschehen war, wußte er nicht. Er wußte noch nicht
einmal, daß er es nicht wußte, denn er war viel zu sehr
damit beschäftigt, entsetzt zu sein über die zahllosen
fremden Ratten, zwischen die der Große und Wütende ihn
gesetzt hatte. Mit grimmigem Zähnefletschen und Zischen
versuchte er, sich Respekt zu verschaffen, aber gewaltige
Schläge auf den Kopf und in die Flanken belehrten ihn rasch,
daß das unerwünscht war. Nach wenigen Minuten wurde er
wieder emporgehoben, und nach einiger Zeit erneut hineingesetzt, bis
er vor Erschöpfung und Gleichgültigkeit keinerlei Reaktion
mehr zeigte. Nun setzte ihn der Große und Wütende auf eine
weibliche, fremde Ratte, die erschrocken aufquiekte, und
rüttelte ihn, bis er auch das begriff: er sollte sie begatten.
Und nicht nur sie. Zahllose der ängstlichen, hilflosen Ratten
aus dem Käfig wurden ihm vorgeführt, auch manches
Männchen war dabei, bis irgendwann die Kraft des Großen
und Wütenden zu erlahmen schien und er ihn sich selbst
überließ. Verängstigt und ratlos, wie er war, suchte
er sich eine leere Höhle, in die er sich zurückzog, und
verschloß den Eingang bis auf einen schmalen Spalt. Sein
Fressen und Nachrichten über die Welt des Käfigs bekam er
zunächst von einem der Weibchen, mit dem er flüchtige
Freundschaft geschlossen hatte, dann von ihren Nachkommen, die er
durch geheimnisvolles Getue und unheilvolle Präsenz in seinen
Bann schlug. Einer von ihnen gab ihm den Namen Ratlan, und er lernte,
unter diesem Namen an sich zu denken.
Und je mehr Ratlan vom
Leben im Käfig erfuhr, desto mehr begriff er, in was für
einer hoffnungslosen Lage er gestrandet war. Er machte sich mit dem
Gedanken vertraut, in dieser geistlosen, leblosen Umgebung sein Leben
zu beenden, als etwas geschah, das ihn elektrisierte. Römer, ein
Nachkomme seiner ursprünglichen Vertrauten, berichtete ihm,
daß Wildratten im Käfig aufgetaucht waren - natürlich
nannte er sie nicht so, aber Ratlan erkannte sie nach der
Beschreibung sofort.
Er witterte eine Chance zur Flucht und
machte sich sofort auf den Weg, die Ursache für ihr Auftauchen
zu finden und vielleicht eine Möglichkeit zu entdecken, wie er
zurück zum General gelangen konnte. Notfalls, so sagte er sich
mit dem Grimm einer langen Gefangenschaft im Herzen, würde er
die Schwächlinge aus dem Käfig töten müssen, um
ans Ziel zu gelangen.
Gegenwart: Im Käfig
Die Gruppe um Rodent, Bull und Mandala wurde vom plötzlichen
Auftauchen eines offenbar zu allem entschlossenen Kämpfers
völlig überrascht. Innerhalb von Sekunden hatte der wie ein
Irrwisch fauchend und quiekend eindringende Fremde die Wachen
überwältigt und sprang auf den Durchgang in der Holzwand
zu, der zum Bau der Wildratten führte, da endlich sprang Rodent
auf und pfiff gebieterisch. Erstaunlicherweise hielt der Fremde kurz
inne, aus dem verwaschenen Schatten wurde eine Ratte, wit gebleckten
Zähnen und gesträubtem Fell, die Rodent irritert anstarrte,
als sei sie verblüfft durch die Schärfe des Tones. Der
Moment war nur kurz, doch er genügte. Mit einem Satz waren Bull,
Mandala und Rodent vor den Fremden gesprungen, der sich kreischend
aufrichtete, jedoch bald einsah, daß er gegen drei
entschlossene Verteidiger nicht ankam. Aufheulend verschwand Ratlan
aus der Höhle, direkt gefolgt von Rodent, Bull und Mandala, die
ihn beim herauskommen gerade noch in der Höhle verschwinden
sahen, in der Gershwin noch immer bewußtlos lag.
"Oh nein", machte Mandala entsetzt, während Bull mit
einem entschiedenen Pfeifen die Ratten zusammenrief und Rodent sich
vorsichtig dem Eingang der Höhle näherte.
Von
drinnen ertönte ein furchtbarer Wutschrei, dann eine scharfe
Stimme.
"Wenn ihr mich nicht nach drüben
laßt, dann töte ich diese Ratte", schrie Ratlan, und
keiner zweifelte daran, daß er es sehr ernst meinte.
Wolpertinger blickte stier in den Tanz der schwarzen Punkte, schwer
atmend, und verfolgte jede kleinste Bewegung, die stattfand. Noch
wußte er nicht, wie es den Ameisen - beziehungsweise dem Haufen
- gelang, in ihm Bilder zu erregen, die er verstand, indem sie
tanzten - aber er war, befeuert vom intellektuellen Erfolg der
letzten Stunden, überzeugt, daß ihm auch das noch gelingen
würde, wenn erst die anderen Probleme gelöst waren.
Er hatte nicht vergessen, daß offenbar neben Taff noch ein
weiteres Mitglied der "Dusty Star" verschwunden war, er
hatte nicht vergessen, daß es den Ungeheuerlichen gab, der noch
viel zu wenig verstanden war, und selbstredend war ihm auch das
Problem mit dem Rattenkönig nicht entfallen. Grade im Moment, da
wir ihn beobachten (und Rodent sich an die H�hle, in der Gershwin
sitzt, heranpirscht) sieht er im Tanz der Ameisen den König den
entscheidenden Angriff auf die Nahrungskammer vorbereiten, und die
letzten Wildratten verzweifelt an einem Tunnel graben, der sie retten
soll (und es nicht wird); doch dann sieht er noch etwas Anderes,
etwas Großes, Schwarzes, das sich dem Käfig nähert,
in einer würdevollen und mächtigen Prozession, umschwirrt
von Kleineren, und er erschrickt ein wenig, obwohl er mit ihrem
Kommen gerechnet hat.
Und dann sieht er noch, hinter dem
Schwarzen, mächtig aufragend, etwas anderes kommen, und er
reißt weit die Augen auf.
"Ach Du meine Güte. Das
mu� Rodent erfahren!" ruft er. "Auf der Stelle"
Das Auftauchen Ratlans hat weitreichendere Konsequenzen, als sich für die Bewohner des Käfigs jetzt schon ahnen läßt. Lesen Sie den weiteren Verlauf des Kampfes Ratlans um die Freiheit in Folge 21: Der Zweikampf.