Unser Huhn
Das Vielleicht-Bier-Buch

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Ich vielleicht auch nicht (ficus elastica et alterae)

von Isolde Dautel

Zugegeben - auch ich habe es im Laufe meines Lebens bestimmt noch nicht auf eine ganze Flasche Bier gebracht. Aber zumindest wurden von mir unzählige Siegel geknackt und Kronkorken gesprengt: Einst waren da die ungezählten Bügelflaschen mit dem guten Kinderbiere fürs Brüderchen, das stets mit großen Augen und dirigierenden Armen auf das erlösende "Pflobb" wartete. Wenig später ging dann das mit der Sammelei los: Eine schwäbische Brauerei hatte bunte Landkarten mit grauen Fehlstellen herausgebracht, auf die die Wappen der betreffenden Länder geklebt werden sollten. Überflüssig zu sagen, daß sich die passenden Lückenfüller ausschließlich auf den Kronkorken des firmeneigenen Exportbieres fanden. Als sammelwütige Drittklässlerin war ich damals mit Flaschenöffner und mit einem Geldstück zum knicklosen Entfernen des Deckels bewaffnet. Dank meiner berechnenden Einflußnahme auf den Bierkonsum der Familie war das Sammelposter an der Garagentür bald vollständig korrekt beklebt.

Ehrlich gesagt sehe ich noch bis heute jedem Aufriß mit zitternder Spannung und allergrößter Erwartung entgegen. Die Erfahrung lehrte mich jedoch, daß vom Ökoleicht-Spritzer bis zum Starkbier-Protz alle doch recht schnell einen schalen Beigeschmack aufkommen lassen, wenn das vielversprechende ,Zisch� verklungen und erstmal Schaum verspritzt ist. Wenn ich dann schon einmal eines schönen Nachmittags ein Faß aufmache, teile ich es mir stets mit meinen grünen Zimmergenossinnen, damit sie nicht so matt vor sich hinvegetieren. Im Monat kommt das aber höchstens einmal vor, und dann auch grundsätzlich nur in äußerlicher Anwendung: Zuerst schütte ich einen guten Teil des Gebräus in ein weites Gefäß, denn der unappetitliche Schaum soll sich schnell auflösen. Nun folgt die immergleiche, festgeschriebene Prozedur, die ich auf das Genaueste während meiner Ausbildungzeit in Süddeutschlands ältestem Reisebüro erlernt habe: Für einen herkömmlichen ficus entferne ich erst mit einem feuchten Tuch die klebrigen Rückstände aus den Falten der Oberhaut. Dann tränke ich einen ganz weichen Lappen mit dem endlich abgestandenen Gerstensaft , welcher dünn und in kleinen kreisenden Bewegungen auch auf die ganz jungen Sprosse aufgebracht wird. Am wirkungsvollsten geht man übrigens von oben nach unten und von innen nach außen vor. Größte Sorgfalt und spielerische Leichtigkeit müssen zu diesem Zeitpunkt Hand in Hand gehen. Mit Schrecken denke ich an die "Trielnasen" zurück, die in meiner Anfängerinnenhand einst entstanden: Dann mußte die Behandlung nach kurzer Unterbrechung nochmals begonnen werden, was die zarteren Stellen mitunter ziemlich strapazieren konnte. Heutzutage arbeite ich jedoch so einfühlsam und stetig, daß sie innerhalb kürzester Zeit glänzend und stramm im Raum stehen. Im besten Fall hält die Befriedigung dann bis bis zu einem Monat an.

Nach getaner Arbeit bin ich dann selbst ein wenig klebrig geworden. Jetzt noch schnell die Zimmergenossinnen an ihre Stammplätze gerückt: Verena erecta steht wegen ihrer Länge im Flur, Lucrezia fidelis und Cordula secura kommen ans Fensterbrett und Sibylla inteligens auf den Fernseher, die stattliche Ficus elastica aber erhällt ihren Luxusplatz zwischen Ohrensessel und Fenster. Dann verschwinde ich staubig wie ich bin mit dem vorher zurückbehaltenen Teil des goldenen Saftes unter der Brause. Bei meiner Bier-Glanzhaarspülung rinnt mir dann oft so viel bitterer Gerstensaft am Mund vorbei, daß ich - betrachte ich�s recht - vielleicht doch schon mehr als eine halbe Flasche Bier geschluckt habe.