Es gibt nur eine Methode, das sichere Verderben vielleicht doch noch abzuwenden:
Ich muss Lärm machen, und zwar so infernalischen Lärm, dass selbst der
hungrigste oder taubste oder dreisteste Bär in Panik Reißaus nimmt.
Schluss mit dem verhaltenen Gebimmel, ich nehme die Bärenglocke in die
Hand, mein Arm schlenkert beim Gehen deutlich mehr als sonst, kein Bär im
Umkreis von drei Kilometern wird behaupten können, er habe mich nicht
kommen hören. Der Weg ist furchtbar. Er folgt dem Verlauf von Otterslide
Creek, der hier ein steiniger Bach ist (und jeder, der schon einmal eine
Dokumentation über die kanadische Wildnis gesehen hat, weiss, das Bär
und Bach die besten Buddies sind). Er führt durch einen dichten Wald,
hügelauf und hügelab, er ist kurvig, und oft sieht man nicht, was sich
hinter der nächsten Erhebung oder Wegbiegung befindet. Vor jeder
unübersichtlichen Stelle mache ich besonders viel Radau. Dabei versuche
ich, nicht an eine bestimmte Passage aus Bill Brysons Buch zu denken, in der er
auf einen Widerspruch in einem der Bärenratgeber hinweist: "Elsewhere he
suggests that hikers should consider making noises from time to time - singing a
song, say - to alert bears of their presence, since a startled bear is more
likely to be an angry bear, but then a few pages later he cautions that 'there
may be a danger in making noise', since that can attract a hungry bear that
might otherwise overlook you."
Wie auch immer- irgendwie gelangen wir heil auf die andere Seite, wo wir
unsere Rucksäcke auf einem Landungssteg deponieren. Als wir auf dem
Rückweg fast wieder bei unserem Boot angelangt sind, zeigt Genista mit
einem beiläufigen "Ach, übrigens" auf den Wegrand. Dort liegt, frisch
glänzend, Bärenlosung.
Ich vermute, wir erinnern ein wenig an eine mittelalterliche
Pestprozession, wie wir da so durch den Wald ziehen: Ich laufe wild bimmelnd
vorneweg, die Kanupaddel wie eine Monstranz in der Linken; Genista schleppt
sich, unter der Last des Kanus ächzend, hinterdrein. Ob die Bären sich
nun im Unterholz lachend auf die Schenkel klopfen oder uns entsetzt aus den
Baumwipfeln beobachten - meine Strategie geht auf: Wir bleiben auch auf dem
dritten Abschnitt der Portage unbehelligt.
Der Creek ist auf dieser Seite wieder schiffbar, dank der Biber. Das
Wasser ist so glatt, dass man beinahe nicht erkennt, wo die Ufervegetation
aufhört und die Spiegelung beginnt. In einiger Entfernung ist eine steile
Felswand zu sehen. Darüber kreist ein Wanderfalke. Er wäre nicht hier,
wenn Naturschützer nicht seit Jahren versuchten, seine von DDT dezimierte
Art im Park wieder anzusiedeln.
Ich bin sehr froh, von der Bärenportage wegzupaddeln. Im Boot
fühle ich mich sicher. Als wir schließlich am flachen Ufer der
letzten Portage landen, sind im Sand lediglich Kranich- und Elchspuren zu sehen.
Hier ist der Weg durch den Wald nur kurz, er umgeht einen wilden kleinen
Wasserfall, der über eine Treppe aus gewaltigen Granitquadern in die Tiefe
stürzt.
Dahinter liegt eine ruhige, langgezogene Bucht, ein Ausläufer von
Big Trout Lake. Wir wollen gerade lospaddeln, als ich einen Fisch springen sehe.
Ich mache den Fehler, Genista darauf hinzuweisen, denn nun muss wieder geangelt
werden. Zäh vergehen die Minuten, während ich im Bug dumpf brüte
und Genista im Heck verbissen versucht, dem nassen Element unser Abendessen
abzutrotzen. Bis zum Einbruch der Dunkelheit haben wir noch eine Stunde Zeit.
Eine Stunde, in der wir einen Zeltplatz suchen, das Zelt aufbauen, kochen,
essen, abwaschen und den Essensrucksack aufhängen müssen. Mit diesem
Argument kann ich Ahab schliesslich zur Aufgabe bewegen, und der Fisch darf
weiterspringen.
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