Kapitel 1
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Im Bauch der friedlich summenden Boeing 747 gluckerten die Stewardessen und Stewards
freundlich und bestimmt die Gänge auf und ab, schoben ihre kleinen Wagen vor sich her und
achteten sorgfältig darauf, nicht an gelegentlich überhängende Ellbogen oder die Decken zu
stoßen, mit denen manche Passagiere sich eingewickelt hatten. Denn wenn es im Fluggerät auch
nicht so kalt sein mochte wie draußen vor den Fenstern, zehn Kilometer über Grönland, so
pflügte doch eine erfrischende Brise durch zahllose Reihen mit je acht Sitzen und hinterließ vielleicht kleine
Hügel auf mancher Haut. Der erste Steward hatte konsterniert aufgeblickt, sich professionell schnell gefaßt und nach dem
Namen erkundigt. "You are Mister S.?", hatte er noch einmal bekräftigend gefragt, und als K.
genickt hatte, "Follow me, Sir." Wenige Sekunden später, K. noch beschäftigt mit dem Sortieren von Decke - wozu war
dieses grüne Tischtuch wohl gedacht? - und den zahlreichen Bordpublikationen, hatte eine
Durchsage erhellt. Drei passengers schienen verloren, gleichwohl ihr Gepäck aber an Bord,
und wenn die Folgenden an Bord seien, so möchten sie sich melden. Hatte der Käptn
durchgesagt. Beim Bordpersonal melden.
"Hello", sagte K., "I'm S.". Die Stewardess hatte genickt, war hinter einem Vorhang verschwunden
(dasselbe Material wie die Decke? Nein, nur dieselbe Farbe) und jenseits des 4 Sitzplätze in
der Mitte als eine andere wieder aufgetaucht. Langsam nur hatte er anschließend das Gehörte rekapituliert. Die drei Passagiere waren nicht nur verlorene Seelen gewesen, es war sogar im Moment der Durchsage jemand dabei gewesen, das Gepäch der drei Verlorenen zu suchen und hinauszuschaffen. Auszuscheiden. Aus dem Leib der Maschine in einer zufällig scheinenden Bewegung herauszuziehen..oder zu druücken? Warum nicht. Blick über die Schulter, besetzt. Ein gedachtes Kneifen in die unteren Regionen und weiter mit den Erinnerungen. Hätte er sich nochmals melden, betonen sollen, daß er tatsächlich und nicht nur aus einer Laune sondern schon seit geraumer Zeit Mr. S. war? Daß also sein Gepäck im Inneren zu bleiben habe? Und nicht heraus.. es hätte vermutlich nicht funktioniert. Drei Versuche waren genug erschienen, und schließlich war das jetzt auch schon der fünfte Besuch im.. ein Klicken, die Tür offen. Er stand auf, ein kurzer Blick ins Gesicht eines älteren Mannes, der zwei Meter weiter entfernt und also Verlierer in diesem Spiel war, und er war drin. Mal wieder. Und es gluckerte. Ein Druck, ein Schieben und Schnauben. Entladung. Weiterhin Gluckern. Erneute Entladung. Er stand auf, schloß den Hosenknopf, griff nach der Seife. Gluckern. Öffnete den Knopf. Und wieder entlud sich der Bauch. Das Gepäck war verloren, wurde ihm klar. Vier Stunden zu spät und hoch über dem Atlantischen Ozean kam die Ahnung und verließ den engen Toilettenraum wieder in einer kleinen Explosion und mit einem Stöhnen. Mit dem letzten Vorüberschieben des Stewards war eine neue Sicherheit über ihn gekommen.
Auf früheren Flügen hatte er immer dankbar angenommen, was von alleine auf ihn gekommen war, war
nichts gekommen, nun, dann hatte er eben nichts genommen. Segnungen der Natur; sei dankbar
wo du sie erhätst, füge dich andernfalls. Ein
Plastikbecher voll Wasser? Gelobt sei der Herr Jesus Christus. Ein weiches Brötchen und Butter?
Hosianna in der Höhe. Getränke nur für die Herrschaften in der business class?
Der Herr gewährt und verweigert nach höherem Gesetz. Wieder gluckerte ein Steward vorbei - nein, das Geräusch kam diesmal aus dem Bauch. Ein rascher Blick. Frei. K. stand auf und fragte sich, wieviele der weiter hinten Sitzenden - die jedesmal in Zehnergruppen (der englischsprachige Paranoide hatte es leichter: "in tens") in seine Richtung starrten, wenn er die Toilette betrat - sich fragten, welche Krankheit er da wohl unter ihren Augen nach Kanada einschleppen mochte, und wieviele von ihnen den Einwanderungsexperten unverzüglich nach der Landung Mitteilung machen würden. Schriftlich vielleicht sogar. Diese, finstere Gesellen und Beamte durch und durch, würden ihn foltern und quälen und seinen Darm dickpumpen mit Luft, die dann, gluckernd.. Ächz, Quatsch, der reine Schafscheiß. Fieber, genaugenommen. Wenn das nur keiner merkte, vor allem die Beamten nicht, nachher. Die waren imstande und erschossen ihn sofort. Wegen ansteckendem Fieberwahn. K. massierte, sitzend und mit heruntergelassenen Hosen, die Speckröllchen an seinem Unterbauch, um durch die massiven Wärmespeicherschichten hindurch die inneren Pumpen anzutreiben, spürte mehr als er es hörte, wie massive Luftblasen sich Wege bahnten, wo sie nicht hingehörten. Stand auf, seufzte, setzte sich wieder. Massierte. Seufzte. Und sah sich selbst ins Gesicht. Wenigstens sehe ich nicht krank aus, dachte er. Ein Irrtum freilich, aber ein beruhigender. Die Nachrichtensendung die aus den wieder heruntergelassenen Fernsehern strömte, oder
besser: die in ihnen gezeigt wurde,
war vom Sender speziell für den Luftverkehr gestaltet, eine
"in-flight edition", mit besonderem Gruß und Guterflugwunsch am Ende. Besondere
Signifikanz mußte also für Kanadaneulinge besitzen, was hier bunt gezeigt und laut
erzählt
wurde. Fernsehsender, monströse Politkraken mit mehr Einfluß, als jedem lieb
sein konnte, streckten ihre schmutzigen Finger ohnehin überallhin aus. Er runzelte
die Stirn und schnitt ein bedenkliches Gesicht, so kompliziert ausgedrückt im
Deutschen und nur ein Wort im Englischen: Er frownte. Und faßte sich an die Runzeln.
Tatsächlich, heiß. Fieber vermutlich, wahrscheinlich sogar. Kein Wunder also,
daß wirre Gedanken gluckerten. Gluckerten? Nicht schon wieder. |