Perry Rodent
Die Ratte des UniversumsFolge 12 - Der komische Lockvogel
Die Situation im Rattenkäfig ist kritisch: allmählich gehen die Futtervorräte der Käfigverwaltung zur Neige. Zusätzlich wirkt der Schock der Unruhen, die das Verwandtenkorps des Rattenkönigs auslöste, noch nach. Große Angst vor der Zukunft beherrscht die Käfiginsassen - da hilft es auch nicht viel, daß die Einsatzgruppe "Dusty Star" ausgezogen ist, neue Futterquellen zu erschließen, denn von der Gruppe um Perry Rodent hat man schon lange nichts mehr gehört. Zusätzlich ist der Rattenkönig, den man durch das Verschließen seiner Höhle kaum aufhalten konnte, dabei, durch ein selbstgeschaffenes Loch in das Reich gefährlicher brauner Ratten vorzustoßen. Sein Werkzeug dabei ist DER KOMISCHE LOCKVOGEL.
Römer starrte mit hervorquellenden Augen auf die Gruppe fremder
Ratten, die Ihnen plötzlich den Weg versperrte, und ließ
ein ängstliches Quieken hören.
"Ihr gebt uns
jetzt besser, was wir wollen", fauchte der offensichtliche
Anführer der Fremden. "Im Namen des Königs."
Römer überlegte eilig. Zahlenmäßig waren seine
kleine Rattenpolizeieinheit und der fremde Trupp annähernd
gleich stark. Da ein Kampf sofort andere Ratten mobilisieren
mußte und somit über kurz oder lang auch andere Polizisten
auf den Plan riefe, hatten die Gegner eigentlich wenig Chancen.
Zumindest wäre das unter normalen Umständen so gewesen,
wenn nicht die Königstreuen mit diesen seltsamen, grimmig
dreinblickenden Kämpfern aufgetaucht wären. Zwei der
Fremden hatten braunes Fell, und sahen gefährlicher aus als alle
anderen zusammengenommen.
"Gebt uns das Futter",
drohte der Anführer erneut, "oder es geschieht ein
Unglück." In diesem Moment hatte Römer einen
Geistesblitz.
"Jeder schnappt sich eine Teil und haut
ab. Jeder in eine andere Richtung", pfiff er eilig, und
während die anderen noch verblüfft standen, schnappte er
bereits einen der Honigtaler und sprang in Richtung der Höhle
der Käfigverwaltung davon. Nach und nach verließ auch die
anderen Polizisten die Starre, sie bissen verwegen in die
Nahrungsstücke, und ehe die Verwandten reagieren konnten, war
bis auf zwei kleine Häufchen mit Körnern der gesamte Vorrat
an Nahrungsmitteln davongetragen. Der Anführer der Verwandten
ließ ein zorniges Quieken hören.
"Also los,
weg hier, ehe die wiederkommen."
*
Gershwin betrachtete unruhig eine kleine Erdkrume in der Wand seiner
Wohnhöhle. Die Gedanken jagten sich in seinem Kopf im Kreis und
in seinen Ohren hörte die oberste Ratte des Käfigs
beständig ein helles Summen.
"Ich kann nicht
mehr", dachte Gershwin, doch gleich darauf ließ er einen
Ruck durch seine Gliedmaßen gehen und biß sich selbst in
die Schwanzspitze.
"Autsch", machte Gershwin und
zog den Schwanz zurück. "Wenn wenigstens Nachricht von
Rodent käme, irgendwas, was uns Hoffnung macht."
"Ich könnte etwas anbieten", sagte Römer, der
unmerklich die Höhle betreten hatte, aus respektvollem Abstand.
"Es ist nicht viel, aber immerhin. Wir haben etwas Futter
gefunden. Bei den Tränken."
Gershwin musterte ihn
überrascht und ließ seine leicht rötlich
gefärbte Schwanzspitze nervös auf die Erde schlagen.
"Bei den Tränken. Wer kam auf die Idee dort zu suchen? Und
wieviel ist es überhaupt?"
"Ich schätze,
es reicht nochmal einen Tag oder zwei", sagte Römer
vorsichtig, "aber..." Gershwin winkte ab, "geschenkt,
Wolpertinger ist nicht da, blabla. Warum hast du da suchen
lassen?" Gershwin wurde nun fast aggressiv. "Und wer hat
das Futter da deponiert?"
"Nur eine Ahnung",
murmelte Römer, und wußte selbst, daß es nicht
überzeugend klang, "ich dachte, ich hätte etwas
gerochen. Ich habe keine Ahnung, wer es dort hin getan hat."
Das entsprach sogar den Tatsachen, aber Römer war sich im
Klaren, daß es trotzdem wie eine Lüge klingen mußte.
Weitere Nachfragen durch Gershwin, die womöglich irgendwann die
Wahrheit offengelegt hätten wurden glücklicherweise dadurch
verhindert, daß Mandala in angespannter Haltung in die
Höhle hüpfte und in einem Tonfall, der Schlimmes
befürchten ließ, bekanntgab, daß einer aus der
zweiten Einsatzgruppe zurückgekehrt war.
Man hatte eine
Stelle gefunden, an der sich die "Dusty Star" offenbar
aufgehalten hatte, und war gerade dabei gewesen, durch anhaltendes
Schnüffeln zu ermitteln, wo Rodent sich von dort aus hingewandt
hatte, als ein gewaltiges Ding vorübergekommen war und alle
Spuren verwischt hatte. Obendrein war Anton von einer Fritte
bewußtlos geschlagen worden, die plötzlich vom Himmel
gefallen war, als das Ding wenig später erneut vorbeigekommen
war. Eine oberflächliche Suche hatte sie noch einige weitere
Fritten finden lassen, die der Bote nun auch mitgebracht hatte, aber
die Spuren der "Dusty Star" waren endgültig verwischt.
Kleopatra hatte angeordnet, daß man die eventuelle
Rückkehr Rodents abwarten solle, aber die Begegnung mit dem
riesigen Ding machte ihnen allen wenig Hoffnung.
Gershwin
schloß für einen Moment die Augen, und dachte nach.
"Bringt die Fritten und die Sachen, die Römer gefunden hat,
in die Lager. Und, Römer, ich möchte jetzt wissen, woher
das Zeug kommt. Auf der Stelle."
Aber Römer war
schon gegangen.
Römer versicherte sich rasch, daß ihm niemand folgte, und
huschte dann zu einem winzigen Loch im Boden, durch das er sich
zwängte. Nach einigen Windungen erreichte er den völlig
dunklen Hauptraum der Höhle - das heißt, er nahm an,
daß es der Hauptraum war. Er war jedenfalls noch nicht weiter
vorgedrungen, hatte immer hier auf den merkwürdigen Unbekannten
gewartet. Es war Römer klar, daß er für sein
Verschwinden noch Ärger zu erwarten hatte, aber er hatte den
grimmigen Verdacht, daß den Unbekannten im Dunkeln seine
neueste Beobachtung brennend interessieren mußte, und er hatte,
obwohl er den Fremden nicht kannte, das starke Gefühl, daß
dieser seine Loyalität weit mehr verdiente als der Käfig,
in dem er lebte. Gelegentlich machte Römer das Angst, doch im
Moment mochte er an solche Verwicklungen nicht denken.
"Was hast du für mich, Ratte?" klang die bekannte
Stimme aus dem Dunkel.
Römer räusperte sich rasch,
und sagte, was er zu sagen hatte ohne besondere Betonung. "Ich
wurde angegriffen von Verwandten, als ich das Futter holte. Es waren
zwei völlig braune Ratten dabei, die sehr gefährlich
aussahen. Und sie haben überhaupt nicht gerochen",
fügte er nach einem Moment hinzu, und starrte in die Finsternis.
Er wußte, da jemand da war, aber auch diesen jemand konnte er
nicht riechen. Römer vermutete, daß die Braunen und sein
Unbekannter etwas miteinander zu tun hatten, und wie es schien,
behielt er recht.
"Es ist gut", sagte die Stimme
sichtlich erregt, "du verstehst nichts, kleiner Römer, aber
es scheint, der König hat etwas getan, das für mich sehr
wichtig werden kann. Ich werde mich mit diesem Ungetüm befassen
müssen, scheint mir."
Römer zuckte ob der
unverhohlenen Drohung, die in den Worten des Unbekannten mitschwang,
zusammen, und verschwand folgsam, als der Dunkle ihm zu gehen befahl.
Römer konnte nicht sehen, daß der Dunkle noch minutenlang
mit zufriedenem Gesichtsausdruck in der Finsternis saß, ehe er
in sein kleines Reich verschwand, und hätte er es sehen
können - er hätte es nicht verstanden.
*
Die engen Gänge ließen, ungleich denen im Käfig,
gerade genug Raum, daß eine Ratte bequem darin stehen konnte,
und schon ein Wendemanöver schien Gregor an der Grenze des
Durchführbaren. Er hatte vom Rattenkönig einen eindeutigen
Auftrag, und sowohl der Zustand der Gänge hier, hinter der vom
König durchbrochenen Holzwand, als auch das Verhalten der beiden
Braunen, die der König schon ins Verwandtenkorps gezwungen
hatte, ließen Gregors Phantasie wenig Spielraum, was wohl mit
ihm geschehen würde, wenn er scheiterte. Bestenfalls würde
man ihn nicht zurücklassen. Aber die beiden Fremden, die
kurioserweise keinen Namen zu haben schienen, hielten für
wahrscheinlicher, daß man ihm die Kehle durchbiß und ihn
dann auffraß.
Vor sich erkannte Gregor eine Bewegung,
warf sich sofort auf den Rücken und streckte alle vier Beine von
sich. Er strampelte, als wolle er schwimmen, und rief immer wieder:
"ich ertrinke, ich ertrinke". Gregor wußte nicht, was
damit gemeint war, aber wörtlich das hatte der König ihm
aufgetragen, und er hatte großen Respekt vor der Intelligenz
des Königs.
Er spürte mehr als er sie hörte
zwei Braune, die sich an ihn heranpirschten und ihn mißtrauisch
beschnüffelten. "Sieht aus wie Regen", murrte einer
der beiden Braunen.
"Es regnet nicht", erwiderte
der andere. "Das ist einer von ihnen."
Gregor
verstand kein Wort, und schrie sicherheitshalber noch einmal
"ich ertrinke".
"Halt den Mund", fauchte
eine der beiden Braunen giftig. Eine kleine Pause entstand. "Was
machen wir jetzt mit ihm", fragte die andere.
"Bringen wir ihn zum Chef", entgegnete die erste. Gregor
ließ sich nichts anmerken, aber innerlich triumphierte er. Er
hatte den ersten Teil des Planes verwirklicht!
"Langsam", sagte Gregor, "wenn wir sie erschrecken
wollen, müssen wir leise sein." Der Anführer der
Braunen musterte ihn abschätzig, nickte dann jedoch. Gregor
hatte gebeten, daß die Braunen ihm bei einem kleinen Streich
helfen sollten, den er dem König spielen wollte. Er wollte sie
in einem Moment, in dem im Käfig alle schliefen,
hinüberführen, und dann sollten alle eine Menge Spaß
miteinander haben. Die Braunen hatten bald gemerkt, daß Gregor
geistig nicht auf der Höhe war und kurz beratschlagt, ob sie
seiner Auskunft trauen konnten, daß die anderen schlafen
würden. Sie hatten sich dafür entschieden, vor allem, weil
dem Chef der Verlust zweier Vorposten größere Sorgen
machte, als er zugegeben hätte. Je eher dieser König
ausgeschaltet war, desto besser.
"Hier geht es
durch", murmelte Gregor, und machte den Braunen Platz, die an
ihm vorbei in die Höhle des Königs strömten. Dort
überwältigten die Braunen mit beachtlicher Kraft und
Schnelligkeit alle Verwandten und waren binnen Augenblicken Herren
der Lage.
Jedenfalls bis jener eigentümlich
vielstimmige Klang ertönte, den Gregor lieben gelernt hatte.
"Willkommen im Verwandtenkorps", sagte der König, und
es klang in den Ohren der Braunen wie ein Gedanke, dem sie schon
lange folgen wollten. "Ich bin der Rattenkönig, und wenn
ihr auch nicht direkt mit mir verwandt seid, so nehme ich euch doch
als meine Kinder an."
Wie verzaubert standen die
Braunen, und sahen mit an, wie der König Gregor zu sich rief,
und ihn zum Kommandanten der Braunen Horden ernannte. Gregors Brust
schwoll vor Stolz auf einen Umfang von über 20 Zentimetern an.
"Wer war euer Anführer", fragte der König. Einer
der Braunen richtete sich auf.
"Sehr gut. Habt Ihr
Nahrungsmittel auf der anderen Seite?"
"Jawohl,
mein König. Ein gewaltiges Lager."
"Das
klappt ja besser als gedacht", sagte der König gutgelaunt.
"Bald kann mich niemand mehr aufhalten."
Der Rattenkönig hat einen entscheidenden Vorteil im Kampf um den Käfig erringen können. Doch zunächst blenden wir wieder um zu Wolpertinger, der, was im Käfig niemand weiß, sich zusammen mit einigen Mitgliedern der "Dusty Star" mit den Ameisen auseinandersetzt. Mehr darüber lesen Sie in Folge 13: Das Geheimnis des Haufens.