Perry Rodent
Die Ratte des UniversumsFolge 11 - Im Banne des Rattenkönigs
Die Situation im Rattenkäfig ist kritisch: allmählich gehen die Futtervorräte der Käfigverwaltung zur Neige. Zusätzlich wirkt der Schock der Unruhen, die das Verwandtenkorps des Rattenkönigs auslöste, noch nach. Große Angst vor der Zukunft beherrscht die Käfiginsassen - da hilft es auch nicht viel, daß die Einsatzgruppe "Dusty Star" ausgezogen ist, neue Futterquellen zu erschließen, denn von der Gruppe um Perry Rodent hat man schon lange nichts mehr gehört. Auch erweist es sich, daß mit der Schließung der Höhle des Rattenkönigs die Lage nicht beruhigt ist, denn noch immer sind zahlreiche Bewohner des Käfigs IM BANNE DES RATTENKÖNIGS.
"Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst", sagte
Römer lautstark, zögerte einen Moment und schüttelte
dann seinen spitzen Kopf.
"Entschuldigung. Umgekehrt
natürlich. Wir haben keine großen Nahrungsvorräte
mehr, aber wir haben unsere fähigsten Leute aus dem Käfig
geschickt, um neues Futter zu suchen. Wir erwarten jeden Moment
Nachricht von ihnen."
Unruhe herrschte in der Gruppe
der Käfigbewohner, die Römer um sich versammelt hatte, bis
eine der Ratten, die ganz vorne saßen, sich aufrichtete, und
die Stimme erhob.
"Wie lange reicht das Futter noch,
Römer? Wann haben wir wirklich Hungersnot im Käfig? Und was
sagt die Käfigverwaltung zum Problem mit den Namen?"
Zustimmendes Murmeln aus der Menge antwortete dem Sprecher und
Römer seufzte.
"Wir können nicht genau sagen,
wie lange die Vorräte noch reichen, da wir Wolpertinger, unseren
fähigsten Wissenschaftler, mit der Einsatzgruppe losgeschickt
haben. Aber wir gehen davon aus, daß es noch einige Tage
sind", sagte er ausweichend. "Und was das Namensproblem
angeht, so ist seine Lösung auf die Zeit nach der Krise
verschoben."
Protestierendes Gequieke setzte ein, doch
Römer ignorierte es und hoffte, daß niemand nachfragte.
Immerhin hatte er die Wahrheit so weit gedehnt, wie es ihm
möglich erschien, und jede Nachfrage konnte offenbar werden
lassen, daß alles viel schlimmer stand, als jemand ahnte.
Die Höhle, in der der König der Ratten mit seinem Gefolge
hauste, war zwar versperrt, aber die Vermutung lag nahe, daß
das verschwundene Drittel der ohnehin spärlichen Vorräte
des Käfigs sich ebenfalls dort befand. Es mochte geschehen,
überlegte Römer sorgenvoll, daß der König
länger Vorräte hatte als der übrige Käfig, und
allein dieser Umstand konnte ihrer aller Ende bedeuten -
beziehungsweise ihre Eingliederung in das sonderbare Verwandtenkorps.
Und zu bekämpfen war der König kaum. Anton, der kurzzeitig
in der Gewalt des Königs gewesen war, und nun zusammen mit
Kleopatra die Einsatzgruppe leitete, die "Dusty Star"
gefolgt war, hatte von einem gewaltigen Monster berichtet, das
vielstimmig den Willen eines jeden brach. Wer immer die Höhle
des Königs betrat, war verloren - selbst also wenn der
Nahrungsnotstand überwunden werden konnte, lauerten in der
Höhle des Königs unwägbare Gefahren.
Und
obendrein war von "Dusty Star" selbst länger als
erwartet oder erhofft keine Nachricht mehr eingetroffen. Römer
schauderte bei der bloßen Vorstellung all der unvorstellbaren
Gefahren, die außerhalb des Käfigs lauern mochten, und
wandte sich von der Versammlung der Bewohner ab. Man diskutierte
lebhaft untereinander, schien aber seine Anwesenheit vergessen zu
haben. Römer fragte sich, wie lange die Bewohner des Käfigs
noch so ruhig bleiben würden.
*
"Wir werden uns nicht um den Eingang kümmern."
Die Worte hallten spitz und vielstimmig in der Höhle wider, die
mittlerweile enorme Ausmaße angenommen hatte und mit der
einstigen Wohnhöhle der Familie von Gaius nicht mehr viel gemein
hatte. An allen Seiten arbeiteten junge Ratten eifrig an der
Erweiterung des Hohlraumes und schafften den Aushub über eine
enge Röhre, die senkrecht nach oben führte, hinaus. Die
Röhre mündete auf dem Dach der Höhle in einem
mittlerweile recht hohen Kegel, der durch den stetig nachgeschobenen
Aushub stetig wuchs. Der Rattenkönig wußte, daß die
gemeinen Ratten niemals Verdacht schöpfen würden - zu fern
war ihnen die Vorstellung, unter einem solchen Hügel könne
sich jemand aufhalten. Man hielt sich in Höhlen auf, ja, aber
doch nicht unter der Erde.
Der einzige, der die Verbindung
zwischen den beiden Gedanken hätte erkennen können, der
geniale Wissenschaftler Wolpertinger, war grade nicht im Käfig,
sondern "Dusty Star" gefolgt, und wenn der König auch
bedauerte, daß Wolpertingers Anwesenheit draußen eine
weitere Schwierigkeit für Hupsi und Dotz bedeutete, war er doch
froh, im Käfig mehr oder minder freies Spiel zu haben, da seinem
überlegenen Verstand niemand gewachsen war.
Die
Entsendung von nur zwei Verwandten zur "Dusty Star"
allerdings mochte sich als Fehler erweisen. Wenn auch Rodent und die
anderen nicht auf eine feindliche Aktion vorbereitet waren, so mochte
es durchaus sein, daß sie die Verwandten
überwältigten und durch sie von seinen Plänen
erfuhren.
Aber auch ohne das Gelingen der Übernahme der
"Dusty Star" sah alles sehr gut aus. Zufrieden lauschte der
König aus zahlreichen Ohren dem Kratzen der Gräber, und mit
besonderer Hingabe lauschte er dem gegen das Scharren in der Erde
auffällig abgesetzten scharfe Kratzen der Zähne auf Holz.
Mit jedem dieser sägenden Laute, der an sein Ohr drang, nahm die
Barriere an Dicke ab, die den Käfig begrenzte. Auch hier erwies
sich der Rattenkönig den einfachen Ratten überlegen, die
sich nie die Frage gestellt hatten, was die Holzwand zu bedeuten
hatte, die den Käfig an einer Seite begrenzte. Wo man
hindurchblicken konnte, überlegte der König
abschätzig, sahen sie es ein, daß es auch ein dahinter
gab, doch die Holzwand war für sie das Ende.
Zudem
wäre niemals jemand auf den Gedanken gekommen, daß die
Holzwand sich auch unterirdisch, in die Höhlen hinab,
fortsetzte.
Auch hier hatte es des Rattenkönigs bedurft
und seiner völlig neuen Art und Weise zu denken, um Fortschritte
zu machen, und der König zweifelte nicht daran, daß hinter
der hölzernen Wand etwas wartete, das Lohn für all seine
Mühe und gerechte Anerkennung seiner Einzigartigkeit
gleichermaßen war. Er ließ den Gedanken süß
nachklingen, als einer der Verwandten ein triumphierendes Quieken
ausstieß.
"Wir sind durch!"
Ein
vielstimmiges Quieken erklang, langgezogen und lähmend,
erfüllte die Höhle und ließ die arbeitenden Ratten
erstarren. Langsam klang es aus, und der gewaltige Körper des
Königs setzte sich in Bewegung, ohne daß sich erkennen
ließ, wie er das tat.
"Ich will die andere Seite
sehen", pfiff er, und folsam wichen die Verwandten zu Seite,
während langsam und ächzend das absurde Knäuel sich
der Wand näherte.
*
Die Höhle war dunkel, und die Ratte, die durch den verwinkelten
Eingang den Weg hier herein gefunden hatte, war ebensowenig zu
erkennen wie das, was sich in ihr verbergen mochte. Unschlüssig
blieb der Ankömmling sitzen, und begann sich nach einer Weile
mit den Vorderpfoten zu putzen. Er war schon oft hierhergekommen, und
hatte nie erkennen können, mit wem er eigentlich sprach, oder ob
es vielleicht mehrere waren, die hier in dieser dunklen Höhle
hausten. Stets hatte man ihn warten lassen. Der Ankömmling
reinigte sich sorgfältig die Hautpartie hinter den Ohren, als er
plötzlich eine bestimmte, klare Stimme vernahm.
"Wie ist die Lage draußen?"
Wie immer war
der andere nicht zu riechen und im Dunkeln nicht auszumachen. Der
Angesprochene ließ die Pfote sinken und berichtete kurz von der
Knappheit an Nahrungsmitteln und dem Rattenkönig.
Ein
Moment Schweigen machte die Dunkelheit gleichsam noch tiefer und
dichter, dann erklang die fremde Stimme wieder.
"Du
wirst einige Polizisten zur Tränke führen und sie dort an
einer Stelle, die markiert sein wird, graben lassen. Das ist alles,
du kannst jetzt gehen."
Der Ankömmling
zögerte einen Moment, verkniff sich dann aber eine Frage, da er
den Jähzorn des anderen bei ähnlichen Gelegenheiten schon
zu schmecken bekommen hatte, wenn er zuviel gefragt hatte.
Folgsam hüpfte er durch den komplizierten Gang nach
draußen, und während nach und nach das Licht des
Käfigs auf seine Schnauze fiel und ihn sichtbar machte,
hätte ein unsichtbarer Beobachter verwundert Römer erkannt,
wie er schließlich sorgsam sichernd einen nahezu perfekt
getarnten Höhleneingang verließ.
Aber
natürlich gab es keinen solchen Beobachter.
*
Der Rattenkönig betrachtete aufmerksam die enge Lücke, die
im Holz entsanden war, und hinter der nichts als neue Erde zu warten
schien. Er betrachtete die braune Masse mißmutig, zog sich dann
ächzend wieder zurück und kommandierte die Verwandten
wieder herbei, weiterzuarbeiten. Wenn er sich auch hier
täuschte, hinter der Wand nichts lag, gerieten seine Pläne
in Gefahr. Er mußte sich dann womöglich in den direkten
Kampf mit der Käfigverwaltung begeben, und wenn er einzelnen
Ratten auch um ein vielfaches überlegen sein mochte, gab er sich
über den Ausgang eines direkten Streites nicht vielen Illusionen
hin. Er hatte nahezu keine Chance.
Nach einigen Minuten
hörte der König abermals eine Erfolgsmeldung. Das Loch in
der Holzwand war inzwischen groß genug, eine Ratte
durchzulassen, aber noch immer war dahinter nichts als Erde zu sehen.
Der Rattenkönig fühlte, wie sein Unmut beständig
wuchs, und befahl ungehalten, nunmehr in der Erde zu graben. Er war
in gewisser Weise selbst überrascht, als nach wenigen weiteren
Minuten große Unruhe unter den Verwandten ausbrach. Die Erdwand
hatte sich als nur zentimeterdick erwiesen. Dahinter fand sich ein
Hohlraum von erstaunlicher Größe. Der Rattenkönig
zögerte keinen Moment, sondern schickte auf der Stelle einen
seiner Verwandten hindurch.
Das Warten dauerte nicht lange.
Schon nach wenigen Sekunden erscholl ein ängstliches Quieken von
der anderen Seite, der Verwandte zwängte sich wieder durch die
Öffnung - und hatte zwei grimmig und fremdartig aussehende
Verfolger im Schlepptau. Ohne zu zögern richteten sich die
Fremden zu voller Größe auf, quiekten aggressiv und
entblößten ihre äußerst scharfen
Schneidezähne. In wilder Panik stieben die Verwandten
auseinander, soweit die räumlichen Verhältnisse es
zuließen, und die beiden Fremden, von Kopf bis Fuß von
eigentümlich bräunlicher Färbung und mit noch immer
grimmiger Wut, rückten Stück um Stück vor.
"Ihr seid jetzt weit genug", sagte der Rattenkönig
sanft, "es reicht", und für einen winzigen Moment
fürchtete er, sein Einfluß werde bei den Fremden versagen.
Doch der Zweifel verflog so schnell wie er gekommen war. Die beiden
braunen Ratten schlossen irritiert den Mund, lauschten einen Moment
den Klängen und hielten dann inne.
"Willkommen in
unserer Truppe."
Die beiden Fremden beugten stumm den
Kopf. Der König hatte gewonnen.
"Wir werden zu einer List greifen", sagte der König
mehr zu sich selbst denn zu den Verwandten und blickte nachdenklich
auf seine Truppe.
Beim weiteren Vorstoß in die enormen
Höhlenlabyrinthe, die hinter der Holzwand lagen, waren die
Verwandten auf erbitterten Widerstand gestoßen, und auch wenn
die beiden Neuzugänge im Korps bereitwillig und umfangreich
Auskunft über die Verhältnisse drüben gegeben hatten,
vermochte der König vorerst nichts auszurichten. Die
gegnerischen Kämpfer erwiesen sich als überlegen, und
hielten sich stets so weit entfernt, daß die Stimme des
Königs, seine mächtigste Waffe, sie nicht erreichte. Und
darauf, daß er selbst durch die Bresche gelangen konnte, mochte
der König nicht warten. Wer wußte schon, was die Braunen
drüben sich derweil ausdachten.
"Jawohl",
wiederholte er, "zu einer List. Du, komm her", kommandierte
er einen der Verwandten, doch noch ehe er ihm weiter Anweisung geben
konnte, rief ein Verwandter aus dem Abraumschacht herunter.
"Römers Polizeitruppen haben neues Futter gefunden, sagen
unsere Spione." Kurze Zeit herrschte Ruhe in der Höhle des
Königs, dann sagte er äußerst zufrieden "Sehr
gut. Besser könnte es gar nicht kommen."
Der Rattenkönig scheint gefährlicher denn je - und er hat mit seinem Durchbruch durch die Holzwand womöglich eine Gefahr geweckt, gegen die er nicht bestehen kann. Über weitere Vorgehen des Königs gegen die fremden braunen Ratten lesen Sie in Folge 12: Der komische Lockvogel.