Kai Schreiber

Autor | Neurowissenschaftler | Sänger






Perry Rodent

Die Ratte des Universums

Folge 6 - Die Spur durch Zeit und Staub

Was bisher geschah:

Die Einsatzgruppe "Dusty Star" hat den Käfig mit unbestimmtem Ziel verlassen und sich dazu mit Space Cakes Mut angeknabbert. Die Ratten haben sich getrennt, Perry Rodent und Ratty "Nerd" Bull, genannt Bully, entdeckten eine einzelne Fritte. Unterdessen trugen sich auch beim Rest der Einsatzgruppe erstaunliche Dinge zu. Ein unerwarteter Angriff erfolgte von den Mitgliedern des Verwandtenkorps des Königs der Ratten, der seine Ziele mit aller Kraft verfolgt. Doch Hupsi und Dotz, die neuen Anführer des Kommandos sind bald darauf mit einer verschwundenen Fritte konfrontiert. Unterdessen sind Perry Rodent und Ratty Bull natürlich nicht untätig. Sie folgen der SPUR DURCH ZEIT UND STAUB.

Mit einem entsetzten Aufschrei sprang Bull einige Zentimeter zurück und versuchte, sich hinter dem Rücken von Rodent zu verbergen, der jedoch zur gleichen Zeit dasselbe mit ihm versuchte. Sekundenlang wußte keiner von den beiden, wer nun weiter von der umstürzenden Fritte entfernt war, was ihre Panik nur noch steigerte. Entsetzt quiekte Rodent auf, als die Fritte mit einem leisen Geräusch im staubigen Grund aufschlug. Dieses Qieken steigerte die Panik Bulls noch weiter, er rannte einige Schritte blindlings durch den Staub, der um ihm wirbelte. Erst als ihm ein leises Niesen entwischte, war er kurz abgelenkt, und hatte wenig später den Grund für seine Panik vergessen.
Dann fiel es ihm wieder ein: die Fritte, die er und Rodent entdeckt hatten, war ganz plötzlich umgefallen, fast als hätte jemand sie unsichtbar gestoßen. Still wartete Bull einige Minuten ab, ehe er vorsichtig begann, sich wieder zu bewegen. Er spürte deutlich seinen Herzschlag und erinnerte sich an das, was Rodent und er sich über die Frittenmacht zusammengereimt hatten: sie war vielleicht für die Futterversorgung des Käfigs verantwortlich, denn auch im Futter fanden sich manchmal Fritten, die dann als besondere Spezialität verteilt wurden. Sie bewohnte die unermeßliche Weite der Staubebene. Und nun schien sie die Fritten sogar umwerfen zu können. Bull erschauerte und verharrte noch einige Sekunden länger am Fleck. Seine Schnurrhaare zitterten aufmerksam und seine Augen suchten unruhig die nähere Umgebung ab. Nirgendwo ein Versteck, überall nur die graue Weite der Staubebene. Und auch Rodent war nicht zu sehen.
Langsam, Schritt für Schritt bewegte sich Bull zur Stelle zurück, an der die Fritte umgefallen war, doch als sein Instinkt ihm sagte, daß er sie erreicht haben mußte, war nichts zu sehen. Irritiert senkte er seine Schnauze und suchte die Stelle gründlich ab, doch die Fritte blieb verschwunden. Bull spürte, wie ihn erneut Panik beschlich, er richtete sich zu seiner vollen Größe auf und schnüffelte angestrengt, da hörte er Rodents Stimme.
"Sie ist hier lang, Dicker."

*

"Das gibt überhaupt keinen Sinn", protestierte Bull lautstark, weil ihm nichts Besseres einfiel. "Fritten bewegen sich nicht."
"Ich habe es Dir schonmal gesagt, als ich hierher zurückkam, war die Fritte weg, das hast Du ja gesehen, Aber in dieser Richtung kann man sie noch ein bißchen riechen."
Rodent deutete mit einer Pfote irgendwohin ins Graue.
"Ich glaube, irgend jemand hat sie weggebracht."
"Die Frittenmacht?" fiepte Bull sorgenvoll. "Du meinst, die Frittenmacht ist unsichtbar und verschiebt Fritten?"
Rodent lachte.
"Wir wissen nichts über sie, Dicker. Sie könnte sonstwas sein, zum Beispiel", er machte eine Pause. "Mir fällt nichts ein", sagte er schließlich. "Ich wollte, Wolpertinger wäre hier, er hätte sicher eine Idee."
"Sicher", knurrte Bull, "ich habe mal mitangehört, wie er jemandem, der in einer zu kleinen Höhle mit anderen zusammen wohnte, und sich bei ihm beschwerte, empfohlen hat, doch einfach enger zusammenzurücken, dann würde es schon gehen. Prima Idee."
"Das ist doch eine gute Idee. Dann haben Sie doch mehr Platz."
"Aber es sind doch genausoviele Ratten wie vorher in der Höhle", beharrte Bull.
"Aber sie haben mehr freien Raum. Verstehst Du nicht? Mehr Raum - gleich viele Ratten. Das heißt mehr Raum pro Ratte."
Bull schwieg eine Weile trotzig und sagte schließlich: "Jedenfalls ist er nicht hier. Wir müssen selbst zurechtkommen."
Rodent nickte zustimmend.
"Wir wissen aber immer noch nicht, wie die Frittenmacht aussehen könnte", gab er zu bedenken.
"Vielleicht sieht sie gar nicht aus", murmelte Bull mürrisch und schnüffelte in der Richtung, in der Rodent die Fritte vermutete. "Vielleicht ist sie einfach unriechbar und unsichtbar. Dann kann sie uns auch nichts tun."
"Wahrscheinlich hast Du recht, Dicker. Wir sollten der Fritte einfach folgen."
Bull nickte entschlossen.
"Immer der Nase nach."

*

"Ich glaube, der Geruch ist frischer als noch vor ein paar Zentimetern", sagte Rodent und Bull seufzte vernehmlich.
"Ich kann nicht mehr, Perry. Wir holen sie ja doch nicht ein. Wir verlaufen uns bloß."
Die beiden verfolgten nun schon seit fast zehn Minuten die Fritte und hielten sich dabei an den Geruch, der eine deutlich riechbare Spur ergab. Außerdem hatten sie nach einer Weile Kratzer im Staub bemerkt, die in Richtung der Spur weisen zu schienen. Bull hatte vermutet, daß die Kratzer etwas mit der Bewegung der Fritte zu tun haben könnten, aber sie hatten sich nicht entscheiden können.
"Ich glaube, hier ist noch etwas Seltsames mit dem Staub", sagte Bull und gähnte. "Sieh mal, da ist er etwas niedriger als hier."
Rodent blickte ihn die Richtung, die Bull anzeigte und gähnte ebenfalls. Eine feine Linie begrenzte eine etwa rattenlange Fläche, auf der der Staub tatsächlich ein wenig niedriger zu liegen schien als anderswo. Rodent hüpfte vorwitzig in die Staubsenke und schnüffelte ausgiebig.
"Und?" fragte Bull.
"Nichts zu riechen", gab Rodent zurück und gähnte erneut. "Ich schätze, Du hast recht, Nerd. Wir sollten ein wenig schlafen. Diese Vertiefungen haben wahrscheinlich nichts zu bedeuten."
Ratlos schnüffelte Bull ein wenig an der Kante, mußte Rodent dann aber beipflichten. "Ich kann auch nichts riechen. Aber ich kann jetzt unmöglich schlafen, ich bin viel zu aufgeregt."
"Aber wir müssen Kräfte sammeln, wenn wir auf die Frittenmacht stoßen, brauchen wir jedes Barthaar." Rodent rollte sich träge zusammen und blinzelte.
"Ich kann jetzt aber wirklich nicht schlafen. Wie stellst Du Dir das denn vor?"
"Du weißt doch, ich bin Sofortabschalter", sagte Rodent, und schon wenige Sekunden später hörte man zufriedene Atemzüge.
Bull grunzte protestierend, rollte sich dann aber seufzend ebenfalls ein. Sein letzter Blick galt den eigenartigen Vertiefungen im Staub, dann war auch er eingeschlafen.

*

"Ich glaube, die Vertiefungen haben nichts zu bedeuten", schnaubte Bull energisch, "wir müssen der Spur der Fritte folgen."
Rodent betrachtete die seltsame Staubformation äußerst mißtrauisch, sagte aber nichts. Zwar war das schon die zweite Kuhle dieser Art, auf die sie gestoßen waren, aber auch Rodent hielt es für sinnvoller, der Fritte zu folgen.
"Wir sollten aber diese Kuhlen auf jeden Fall im Auge behalten", quiekte er und Bull stimmte ihm zu.
"Wir können ihnen ja einen Namen geben, dann können wir sie uns besser merken. Ich schlage vor, wir nennen sie Staubsenken." Bull betrachtete sein neugewonnenes Eigentum, die Staubsenke, versonnen. "Was meinst Du, Perry?"
"Ich glaube, wir sind jetzt ganz nah", fiepte Rodent aufgeregt. "Komm hier rüber, Nerd. Hier riecht es ganz stark."
Rodent richtete sich hoch auf und spähte angestrengt in die Richtung, aus der der starke Geruch kam. Bull machte einen Satz dorthin und quiekte erschrocken auf.
"Hier ist der Boden ganz anders, Perry", machte er aufgeregt.
"Kein Staub?"
"Doch, aber viel kälter und härter. Ich glaube, hier könnte man nicht graben. Und da", Bulls Stimme versagte einen Moment, "da ist die Fritte!"
Mit einem Sprung war Rodent an seiner Seite. Vorsichtig schoben die beiden ihre Nasen an das langsam über den kalten Boden gleitende Nahrungsmittel heran und stießen schließlich mit den Spitzen dagegen.
"Ich rieche nichts", gab Bull bekannt.
"Ich auch nicht", sagte Rodent und zog mit einer Pfote an der Fritte, die bereitwillig kippte. Eine Flut von kleinen schwarzen Punkten kam zum Vorschein, die sich in eiliger Bewegung befanden.
"Ameisen!" rief Rodent erschüttert. "Soll das die Frittenmacht sein?"
Bull starrte ihn entgeistert an.
"Was sind denn Ameisen?" fragte er ängstlich.

Rodent und Bull haben die Fritte verfolgt und sind auf Ameisen gestoßen. Wir verlassen die beiden Helden hier und blenden wieder zurück in den Käfig, wo sich die Nahrungsmittelkrise stündlich verschlimmert. Zusätzlich sorgt der König der Ratten für Unruhe. Ob es der Käfigleitung um Gershwin gelingen wird, den drohenden Konflikt zu entschärfen? Lesen Sie Folge 7: Der Käfigkrieg findet nicht statt.